Behzad Karim Khani: Wie mein Vertrauen in die Leitmedien stark beschädigt wurde - Kommentar
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Unser Autor schreibt über seine Erfahrungen, die er als freier Mitarbeiter mit verschiedenen Redaktionen gemacht hat, darunter beim Spiegel und der Süddeutschen Zeitung.
Als der Konflikt zwischen dem Iran und Israel eine heiße Eskalationsstufe erreicht, bekomme ich eine Anfrage der Süddeutschen, ob ich dazu etwas schreiben mag. Der Mail beigefügt ist ein Artikel, an dem ich mich orientieren kann oder soll, von einer Journalistin, die keine Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus zieht. Der Text setzt einen unwissenden, bauchfühligen Leser voraus. Er ist oberflächlich und unkritisch.
Ich kenne den Redakteur, weil er den von ihm selbst in Auftrag gegebenen Artikel eines israelischen Kollegen zurückgehalten und nicht veröffentlicht hat. Der Artikel kritisierte den deutschen Blick auf Gaza. Ich will weder seine noch meine Zeit verschwenden für einen Artikel, der dann nicht erscheint.
Ich würde einen Kommentar schreiben, aber nicht so, antworte ich. Mein Blick sei nicht von der Staatsräson verstellt, dafür verstünde ich aber auch tatsächlich den Konflikt. Mehr will der Redakteur nicht wissen. Er sagt höflich ab. Meinetwegen.
Am Tag darauf meldet sich ein anderer Redakteur mit der gleichen Anfrage. Selbe Zeitung. Anderes Ressort. Die beiden wissen nichts voneinander. Ich kläre auf. Wiederhole meine Position. Der Redakteur: „Man muss ja nicht gleich Genozid sagen.“ Ich hatte nie Genozid gesagt. „Rache- und Vernichtungsfeldzug?“, frage ich. Fühlt sich an, wie um Erlaubnis bitten. Warum diese Absprache? Obendrein für einen Meinungsartikel! „Das ist kein Problem.“ Sagt er. Ich schreibe den Artikel. Sachlich. Klar. Decodiere die Sprache des iranischen Regimes, erkläre die technische und wirtschaftliche Seite, die Grenzen der Eskalationsstufe.
Mehrfach werde ich angehalten, zu schreiben, was man gegen das Regime tun kann. Ich sei doch schließlich Regimegegner.
Soll ich den Artikel schreiben oder nur unterschreiben?Wenn es ein Mittel gäbe, das in 8000 Zeichen unterzubringen, hätte das Regime doch nicht seit 45 Jahren Bestand. Ein paar Zeilen widme ich einer Schwäche des Regimes. Mehr habe ich nicht. Alle Punkte, die irritieren könnten, werden beleuchtet, von mir mit Quellen belegt. Als ich den redigierten Text zur Ansicht zurückbekomme, fehlt ausgerechnet der Ausdruck, auf den wir uns geeinigt hatten. Ich werde etwas härter im Ton. Man möge sich doch entscheiden, ob ich den Artikel schreiben oder nur unterschreiben soll. Erst auf mein Beharren erscheint der Ausdruck.
Eine ähnliche Erfahrung mache ich beim Spiegel. Nach dem 7. Oktober werde ich angehalten, meine Texte zu dem Thema immer erst dort zu pitchen. Als ich anbiete, eine Analyse darüber zu schreiben, dass Israel auf dem Weg zu einem failed state ist, erhalte ich als Antwort: Bei aller Meinungsvielfalt im Magazin sei die These doch zu pessimistisch.
Zu pessimistisch? Seit wann ist das ein Kriterium? Schreibt ihr dann auch nichts zur Klimakatastrophe? Zur Ukraine? Zu diesem Zeitpunkt spricht der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo auch schonmal sein Verständnis für Kriegsverbrechen wie Nahrungs- und Wasserblockade gegen zwei Millionen Menschen aus, von denen etwa die Hälfte minderjährig ist. Das wiederum geht scheinbar.
Ein paar Monate später bringt der Spiegel dann ein Interview mit dem israelischen Historiker Omer Bartov, der beinahe wortwörtlich das erzählt, womit ich meinen „zu pessimistischen“ Artikel angefangen hätte. Der Begriff Genozid wird vom IGH, Amnesty International, von Human Rights Watch sowie unzähligen NGOs benutzt.
Der Spiegel überprüft jetzt auch Meinungsartikel auf Fakten. Ich schreibe für eine kleinere Zeitung. Dafür ohne Einmischungen. Das Vertrauen des Lesers in die Leitmedien ist stark beschädigt. Meins auch.
Berliner-zeitung