Lausitz-Festival | »Krabat« in Görlitz: Der Gewinn der Freiheit
Der Schwarzmüller hat ein Problem: Ihm drohen die Knechte auszugehen. Ob es nun am Dreißigjährigen Krieg und dem entsprechenden Männermangel liegt oder am schlechten Ruf des Müllers – kurz vor Ostern steht er mit leeren Händen da. Dabei muss er doch laut Vertrag mit der Todesgöttin Smjertnica das Dutzend wieder vollmachen, wenn er ihr wie jedes Jahr einen der Bediensteten zum Opfer gebracht hat. Andernfalls muss er selbst dran glauben. Sein Zauberbuch indessen hilft. Er begibt sich in die Zukunft und rekrutiert dort den jungen Krabat, der sich als sein gelehrigster Zauberschüler erweist.
Marius Felix Lange hat für seine Familienoper auf einen Lausitzer Sagenstoff und eine sorbische Gestalt zurückgegriffen. So lag es nahe, dass das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau für die Uraufführung mit dem Lausitz-Festival kooperierte. Der Komponist, der zugleich das Libretto verfasst hat, nutzte für seine Oper, die sich weitgehend auf Märchen- und Mythenmotive stützt, verschiedene Varianten der Überlieferung. Die Figuren sind nicht auf psychologische Komplexität hin angelegt. Wenn die Ordnung von Gut und Böse einmal ins Schwanken gerät, wird sie schnell wiederhergestellt. Das hilft, Gegensätze zu klären; Märchen, Sagen, Legenden haben der Menschheit ihre ganze Geschichte hindurch geholfen, Welt zu bewältigen. Dies gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Insofern hat Lange tatsächlich eine Familienoper geschrieben.
Seine Musik ist fasslich, ohne an Anspruch nachzulassen – jedenfalls wenn nicht der Anspruch besteht, Musik heute müsse avantgardistisch sein. Lange schmilzt Mittel der musikalischen Moderne behutsam in einen Stil ein, der am ehesten als spätromantisch zu bezeichnen ist. Dabei erweist sich, dass die überkommenen Verfahrensweisen heute noch taugen, auch für erwachsene Hörer. Instrumentalfarben werden kaum je entgegen der Erwartung eingesetzt. Zitate von Lied und Choral rücken Szenen in eine – historische – Alltagspraxis. Ausflüge in Grenzbereiche der Tonalität zeigen Gefahr und Böses an, stabile Harmonik steht für das Positive. Die Neue Lausitzer Philharmonie zeigt unter Roman Brogli-Sacher, wie wirkungssicher und differenziert Lange diese Mittel einzusetzen weiß.
Zugleich ist er ein geschickter Dramaturg. Sein Text ist umfangreich; würden nicht etliche Passagen gesprochen, gäbe es noch mehr als gut zwei Stunden Musik zu hören. Dabei entwickelt sich die Handlung rasch. Jede der 19 Szenen hat ihren eigenen Spannungsbogen, und fast jeder zielt auf einen Höhepunkt. Lange weiß, wie er für konzentrierte Verläufe zu schreiben hat, und zwar derart, dass die Worte zugleich die Ergänzung durch Musik herausfordern. Allenfalls ist etwas gegen seinen Umgang mit Stilebenen einzuwenden. Krabat als Junge aus der Zukunft und später auch seine Mutter, die zu seiner Rettung beiträgt, reden und singen zuweilen modernen Slang. Das sprengt naturalistisch die Märchenwelt, die zeitlos auch dann sein müsste, wenn in ihr Zeitsprünge stattfinden.
Im Zentrum von Vinzenz Hegemanns Bühnenbild steht das Wasserrad der Mühle. Es bezeichnet die notwendige Arbeit und hat an einem Rand das Verlies, mit dem der Schwarzmüller droht. Eine Nacht darin muss grauenhaft sein; wir erfahren nie, warum – was die Drohung noch steigert. Das Rad dient als Ausgangspunkt für die Ausflüge in Raum und Zeit, die die Animationen von Felicia Bergström ins Bild setzen. Die Videos transportieren auf poetisch-zeichenhafte Weise Bühnenvorgänge, die Raum und Zeit sprengen oder auch sonst anders kaum umzusetzen sind. Das gilt besonders für die Schlussphase, in der Krabat und Schwarzmüller sich in immer andere Tiere verwandeln, um einander zu bekämpfen. Die Regisseurin Rebekka Stanzel bekommt auf diese Weise den nötigen Raum zu einer überzeugenden Personenführung, die ohne unnötige Zutaten Machtverhältnisse, Drohungen, aber auch Zuneigung vermittelt.
Dass dies nicht immer auf den Punkt genau klappte, mag der Premierennervosität geschuldet sein oder der Konzentration aufs Musikalische. Bis in die Nebenrollen hinein war die Oper gut besetzt. Neben dem Tod – oder, genauer, der verführerischen Tödin – von Shoushik Barsoumian ist Peter Fabig als Schwarzmüller zu nennen, der volltönend und machtvoll der Figur das nötige Bedrohliche gab. Buyan Li wurde als Krabat zum angemessenen Widerpart; was hier wie auch oft sonst nicht einfach war, regen doch das Böse und die Macht zur eindrucksvolleren Gestaltung an. Mal sanft, mal mit klugen Ratschlägen brachte Lisa Orthuber als Knechtin Měrćin einen weiblichen Ton in die Männerwelt vom Müller und seinen Gehilfen; der Schwarzmüller hatte aus Personalnot so tun müssen, als durchschaue er Měrćins leicht durchschaubare Verkleidung als Junge nicht, und stellte das Mädchen an. So kann Lange auch die Liebeshandlung einfügen, ohne die kaum eine Oper auskommt, die jemals Erfolg gehabt hat.
Eine Familienoper? »Krabat« bietet tatsächlich allen Generationen etwas zum Hören, Sehen, Denken. Die (wenigen) Kinder bei der Premiere blieben ruhig bis zum Ende, also scheint das zu funktionieren. Ihr Inhalt? Dass Liebe, gar wie in dieser Oper Mutterliebe, das Böse besiegt, glaubt kein ernstzunehmender Mensch. Anders sieht es aus, wenn Liebe für Utopie (das Spielzeitthema der Görlitz-Zittauer Theaters) steht. Diese ermöglicht das zielgerichtete Handeln – und tatsächlich muss Krabat, von seiner Mutter gerettet, danach noch gegen den Müller kämpfen.
Um Freiheit? Herrentum und Freiheit gehören zusammen, verkündete der Müller Krabat, den er als seinen Nachfolger installieren wollte. Krabat fragt nach: ob nicht auch der Müller Angst habe? Natürlich bangt der Mühlenbesitzer, jedes Jahr, vor dem Tod, ob er einen neuen Knecht findet. Und natürlich leugnet er seine Unfreiheit. Erst am Ende geht er glücklich mit der Smjertnica ab. Das Ende der Herrschaft befreit auch die Herrscher; aber damit sie dies verstehen, so erzählt uns diese Opernsage, müssen sie zunächst einmal besiegt werden.
Nächste Vorstellungen: 21.9., 11. und 12.10. www.g-h-t.de
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