Politik-Angst : Warum haben Frauen oft Angst, über Politik zu sprechen?
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Politikthemen sind noch immer eher männlich besetzt – sowohl in Gesprächen als auch Interessengebieten. Unsere Autorin hat zwei Expertinnen gefragt: Woher kommt die weibliche Politik-Angst?
Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union, vermutete jüngst, Robert Habeck sei bei den Frauen so beliebt, weil sie ihn attraktiv finden. CSU-Chef Markus Söder antwortete auf die Frage, worauf ein Politiker achten müsse, um Frauenstimmen zu gewinnen, mit "Das ist hier kein Beauty-Contest." Was diese Bemerkungen implizieren? Dass Frauen nichts von Politik verstehen und sich lediglich für Äußerlichkeiten interessieren. Leider scheint dieses misogyne Bild gesellschaftlich noch so tief verankert, dass wir uns oft selbst nicht zutrauen, unsere Meinung zu äußern, wenn es um Politikthemen geht. Dabei hätten wir doch so viel zu sagen ...
Frauen und Politik: Eine Angstbeziehung?Frauen scheuen sich in gesellschaftspolitischen Kontexten zu häufig, ihre Stimme zu erheben, egal ob beim Mittagessen mit Kolleg:innen oder beim Kaffeetrinken mit der Familie. Fragt man sie, warum, hört man oft: Sie haben Angst, anzuecken, sich nicht gut genug auszukennen, etwas Falsches zu sagen.
Ich kenne diese Scheu vor Politik auch aus meinem Freund:innenkreis, habe schon häufig beobachtet, dass, sobald gewisse Themen auf den Tisch kommen, plötzlich vor allem die Männer reden. Aber kennen sie sich wirklich so viel besser aus? Ich bezweifle das. Ebenso wie die Annahme, dass Frauen sich weniger für Politik interessieren. Dahinter stecken strukturelle Barrieren.
"Historisch tief sitzende stereotype Rollenzuschreibungen tragen mit Sicherheit ihren Teil dazu bei", erklärt Sozialpsychologin Prof. Dr. Julia Becker von der Universität Osnabrück. "Damals gingen Männer einem Beruf – und der Politik nach – und Frauen kümmerten sich um den Haushalt und die Kinder. Das ist heute zwar anders, aber noch immer leisten Frauen mehr Care-Arbeit. Schaut man sich das aktuelle Kinderspielzeug an, dann sehen wir Lego "für Mädchen" – da geht es um Themen wie Freundschaft und Puppenhäuser und Lego "für Jungen" – da geht es um die große Welt, das Abenteuer, Waffen und gefährliche Tiere. Diese Rollenzuschreibungen wirken immer noch. So bilden sich unterschiedliche Interessenschwerpunkte und Erwartungen heraus."
Die Sozialisierung von Mädchen und Jungen führt aber nicht nur dazu, dass sie unterschiedliche Interessen formen, sondern auch, dass Mädchen unterschwellig lernen: Naturwissenschaften, Mathe und auch Politik? Ist eher etwas für Jungs. Folglich arbeiten Frauen weniger in solchen Bereichen. Und die, die dort arbeiten, erleben oft Diskriminierung und sind mit Stereotypen konfrontiert, die ihr Selbstbewusstsein schwächen und den beruflichen Aufstieg erschweren. Im Endeffekt sind die Erwartungen hoch und die Angst vor Fehlern ist ausgeprägt, was zusätzlichen Druck erzeugt.
Klarer Fall von Impostor-SyndromIn der politischen Debatte geht es oft um Meinungen – und Konflikte. Wie stehst du zu A? Was sagst du zu B? Und dann wird diskutiert. Frauen fühlen sich im Vergleich zu Männern in solchen Situationen weniger wohl, weil sie höhere Ansprüche an sich stellen. "Sie denken, sie können sich erst dann im politischen Diskurs zu Wort melden, wenn sie eine ausgereifte Position zu einem bestimmten Thema mitbringen", bestätigt Julia Becker. "Es gibt aber Konflikte, da wissen viele vielleicht gar nicht, wie sie sich positionieren sollen oder sind ambivalent, beispielsweise zum Thema Waffenlieferungen." Daraus folgt dann, dass sie lieber gar nichts sagen, statt etwas Falsches.
Becker nennt das einen klassischen Fall von Impostor-Syndrom. "Menschen fühlen sich unzulänglich, obwohl sie beruflichen Erfolg haben. Sie denken, sie haben ihren Erfolg erschummelt und ihn eigentlich nicht verdient." Das Impostor-Syndrom betrifft allgemein eher Frauen als Männer. "Frauen neigen viel eher als Männer dazu, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu unterschätzen, während Männer eher dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen", bestätigt die Psychologin. Das zeigt sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die eher männlich konnotiert sind, beispielsweise beim Autofahren, in der Wissenschaft oder eben in der Politik.
Dabei haben Konflikte oft mit Dominanz und Repräsentation zu tun. Denn dass wir allgemein denken, Frauen könnten schlechter Autofahren, liegt daran, dass es uns so beigebracht wird. Dass Frauen sich im politischen Diskurs weniger wohlfühlen, liegt daran, dass wir oft nicht mit eingebunden werden und uns dann selbst keine Meinungsäußerung erlauben. Und den Grundstein dafür, den legt das Patriarchat: Männer, die ungern zur Seite treten, die keinen Raum für Frauen freigeben wollen. Die lieber dominant bleiben, um ihre Position und ihre Privilegien zu sichern.
Frauen müssen sich in der Männerwelt anders behauptenNina Poppel kennt das Problem. Die Influencerin hat Politikwissenschaften studiert und dennoch lange Zeit große Scheu gehabt, sich zu Politikthemen zu äußern. Gegenüber BRIGITTE gibt sie zu: "Ich wollte eben nicht anecken." Um sich in einem sehr männlichen Umfeld durchzusetzen, habe sie im Studium auf "cool" gemacht und beispielsweise vor den Männern behauptet, dass sie keine Frauenquote brauche. Sie schaffe das allein. "Ich war ein klassisches "Pick-Me-Girl"", so Poppel.
Woher kommt das? Wenn Frauen stark sein wollen und sich bloß nicht emotional und verletzlich zeigen wollen, dann ist das so, weil ihnen suggeriert wird, dass es nur so möglich ist, erfolgreich zu sein. "Ich habe deswegen nie Kleider und Röcke oder gar die Farbe Rosa getragen, weil ich mich der "Männerwelt" anpassen wollte. Ich denke, dass viele Frauen Angst davor haben, sich in der Männerdomäne Politik zurechtzufinden."
Auf ihrem Instagram-Kanal erklärt Nina Poppel deswegen Politik. Niedrigschwellig und einfach verständlich. Ihr Ziel ist es, Frauen die Angst vorm politischen Diskurs zu nehmen. Es sei gerade wichtig, dass Frauen Zugang zu Politik finden, da die patriarchalen Strukturen andere Interessen hervorbringen. "Männern sind eher an ökonomischen Themen und Frauen eher Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung interessiert", sagt Poppel.
Fehlendes Verständnis oder Beteiligung sind dabei keine Probleme, die auf einzelne Personen abgewälzt werden sollten. Sie sehe den Fehler eher darin, dass es viel zu wenig politische Bildung an Schulen gibt und dass Politik nicht verständlich genug vermittelt wird, um eine breite Masse mitzunehmen. "Wir leben in einer Demokratie und dass so viele Menschen wie möglich teilhaben, mitdiskutieren und sich austauschen ist wichtig", so Poppel.
In der Politik fehlt es leider immer noch an Repräsentation. Wir brauchen dringend mehr weibliche Beispiele wie eine Heidi Reichinnek oder eine Ricarda Lang. Die mutig und unerschrocken sind und die keinen Hehl aus der Extrameile machen, die sie gehen mussten, weil sie Frauen sind. Nicht nur, um die elitären männlich-dominierten Politikkreise etwas aufzumischen, sondern auch um Identifikationspotenzial für ganz 'normale' Frauen im Alltag zu schaffen. Wir brauchen mehr Stimmen, die laut rufen: "Frauen, traut euch, eure Meinung zu sagen!" Ich nehme mir fest vor, ab jetzt öfter meine innere Heidi rauszulassen.
Brigitte
brigitte