Sahra Wagenknecht: „Die Mächtigen wissen, dass wir die einzige konsequente Friedenspartei sind“

Am 13. September findet in Berlin eine Friedensdemo statt, organisiert von Sahra Wagenknecht. Mit dabei: Dieter Hallervorden, die Rapper Bausa, Massiv und andere. Ein Gespräch mit der BSW-Chefin.
Sahra Wagenknecht plant unter dem Motto „Stoppt den Völkermord in Gaza“ am 13. September eine Großdemo in Berlin. Wir haben mit der BSW-Chefin über ihre Pläne gesprochen.
Frau Wagenknecht, durch den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und Israels Krieg in Gaza ist die Welt wieder einmal mehr ins Wanken geraten. Seitdem tobt nicht nur der Krieg in der Region, sondern auch der Informationskrieg in den weltweiten Medien und den sozialen Netzwerken. Wie schwer ist es Ihrer Einschätzung nach angesichts des anhaltenden Blutbades, eine Position einzunehmen, die sich jenseits von einseitigen Schwarz-Weiß-Bildern manifestiert?
Offenbar fällt das vielen Beobachtern in Deutschland schwer, die nicht in der Lage sind, zwischen dem legitimen Selbstverteidigungsrecht Israels in Reaktion auf das Massaker der Hamas und einem Vernichtungsfeldzug mit Zehntausenden toten Zivilisten zu unterscheiden. Es ist erschreckend, wie in Politik und Medien beim Gazakrieg mit doppelten Standards gemessen wird. Während man uns in Bezug auf die Ukraine jahrelang eingeredet hat, wir müssten immer mehr Waffen liefern, damit sich das Land gegen den Angriff Russlands verteidigen kann, gilt im Gazakrieg unsere Solidarität dem Aggressor, der auch dann noch von der Bundesregierung mit Waffen versorgt wird, wenn er vor den Augen der Weltöffentlichkeit einen Völkermord begeht.
Der Linke-Politiker Bodo Ramelow hatte Bilder von toten Kindern in Gaza, welche ihm von einer Parteifreundin geschickt wurden, indirekt als „Hamas-Scheiße“ bezeichnet. Was fällt Ihnen dazu ein?
Da fällt mir gar nichts mehr ein. Ich finde das einfach nur menschenverachtend. Seit Beginn des Kriegs stirbt im Schnitt jede Stunde ein Kind in Gaza. Über 20.000 Kinder wurden bereits getötet, fast jedes Kind in Gaza ist von Hunger bedroht. Es gibt Belege, dass Kinder bei der Verteilung von Lebensmitteln vom israelischen Militär getötet wurden oder nach gezielten Schüssen in Kopf oder Brustkorb ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Wer solche Kriegsverbrechen als Hamas-Propaganda abtut, verbreitet die Lügen der rechtsextremen israelischen Regierung und diskreditiert sich selbst.
Zum Begriff des „Antisemitismus“: In Deutschland wird dieser Tage viel über Antisemitismus berichtet, vor allem mit Blick auf propalästinensische Demonstrationen. Der israelische Historiker Moshe Zuckermann erwähnte in einem Interview mit der Berliner Zeitung: „Man muss nicht antisemitisch sein, um sich gegen den Zionismus zu stellen und Israel für seine Politik zu kritisieren!“ Teilen Sie diese Einschätzung?
Unbedingt. Was ist das für eine Debattenkultur, jede Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus zu diffamieren? Das ist auch eine Beleidigung für die vielen Jüdinnen und Juden, die Netanjahus Krieg in Gaza genauso hart verurteilen wie andere Kritiker. Nach der Migrationskrise, Corona und dem Ukrainekrieg ist der Nahostkonflikt das nächste große Thema, bei dem eine liberale Debatte in Deutschland unmöglich gemacht wird. Tatsächlich erleben wir ein zunehmend autoritäres Vorgehen gegen Wissenschaftler und Demonstranten, die die israelischen Kriegsverbrechen kritisieren. Die Grundlage dafür haben die Parteien von Grünen bis AfD gelegt, die vergangenes Jahr im Bundestag die sogenannte Antisemitismus-Resolution beschlossen haben. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Antisemitismus wird jede Kritik an der rechtsextremen Regierung Netanjahu in Israel stigmatisiert. Damit tut man der Bekämpfung von echtem Antisemitismus, den es ja tatsächlich auch gibt, keinen Gefallen. Moshe Zuckermann wird übrigens auch auf unserer Friedenskundgebung am 13. September von Tel Aviv aus mit einem Grußwort präsent sein. Darüber freue ich mich sehr.
Ihre Partei hat zu einer Großdemonstration am 13. September aufgerufen, unter dem Titel: „Stoppt den Völkermord in Gaza! Keine Waffen in Kriegsgebiete! Frieden statt Wettrüsten!“ Welche medialen Reaktionen haben Sie darauf bisher erfahren?
Unsere Kundgebung wurde trotz der prominenten Rednerliste – immerhin standen Dieter Hallervorden, die Rapper Bausa und Massiv, der ProSieben-Moderator Daniel Aminati, Gabriele Krone-Schmalz und ich noch nie gemeinsam auf einer Bühne – zunächst medial komplett boykottiert. Erst nach unserer Pressekonferenz am Montag gab es einige Berichte. Das mag auch daran liegen, dass in den Redaktionsstuben vor dem Völkermord-Begriff zurückgeschreckt wird. Dabei haben führende Menschenrechtsorganisationen dokumentiert, warum das israelische Vorgehen alle Kriterien dafür erfüllt. Auch der Internationale Gerichtshof sieht ein plausibles Risiko für einen Völkermord in Gaza, und selbst die Vizepräsidentin der EU-Kommission spricht inzwischen davon. Eigentlich würde man erwarten, dass medial groß darüber berichtet wird, wenn sich ein so breites Bündnis zusammenfindet, zu dem Künstler zählen, die man wirklich nicht alle Tage auf einer Friedenskundgebung erleben kann. Auch Peter Maffay hat übrigens zu unserer Kundgebung aufgerufen. In den sozialen Medien ist die Resonanz zum Glück groß. Deshalb hoffen wir, dass viele Menschen kommen werden.
Neben Ihrer Person gehören auch der Schauspieler und Kabarettist Dieter Hallervorden, der Rapper Massiv sowie einige andere Prominente zu den Erstunterzeichnern. Was verbindet die genannten Personen eigentlich? Handelt es sich hierbei um den Entstehungsprozess eines Vorfeldes, über welches andere auch verfügen?
Die Kundgebung ist keine BSW-Veranstaltung. Uns eint der Wunsch nach Frieden. Deshalb rufen wir als Personenbündnis gemeinsam dazu auf. Wir alle können die schrecklichen Bilder aus Gaza nicht mehr ertragen. Wir stellen uns gegen die irre Hochrüstung, die uns einem großen Krieg in Europa immer näher bringt. Wir fordern: Frieden statt Wettrüsten und Schluss mit Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.
Das BSW wird in den konventionellen Medien kaum noch erwähnt. Gehen Sie davon aus, dass die Demonstration auch diese Schweigespirale durchbrechen kann?
Es stimmt, gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden wir aktuell komplett gecancelt, obwohl uns rund 2,5 Millionen Menschen gewählt haben und wir aktuell in Umfragen zwischen vier und fünf Prozent stehen. Höher als die FDP, die weit wohlwollender behandelt wird. Auch mit Blick auf unseren Einspruch beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags und unsere Forderung nach Neuauszählung der Stimmzettel der letzten Bundestagswahl erleben wir ein mediales Schweigekartell. Dabei gibt es Belege für systematische Zählfehler zu unseren Lasten und alles deutet darauf hin, dass das BSW bei korrekter Zählung der Stimmen im Bundestag vertreten wäre und Kanzler Merz keine parlamentarische Mehrheit mehr hätte. Die Mächtigen wissen, dass wir die einzige konsequente Friedenspartei sind und auch die Einzigen, die soziale Forderungen mit einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und der Verteidigung der Meinungsfreiheit verbinden. Vielleicht werden wir deshalb so hart bekämpft. Die Kundgebung wird daran wohl wenig ändern. Aber wenn Tausende Menschen unserem Aufruf folgen und für Frieden auf die Straße gehen, wird man das nicht totschweigen können.
Erwarten Sie Auswirkungen auf das Ergebnis der Kommunalwahlen in NRW, die einen Tag nach dem Großereignis stattfinden werden?Ich denke, bei den Kommunalwahlen in NRW stehen andere Fragen im Fokus. Ich war im Wahlkampf vor Ort unterwegs. Die Menschen treibt um, dass Straßen und Brücken verfallen, Schwimmbäder geschlossen werden, Kitaplätze und Ärzte fehlen. Allerdings besteht natürlich ein Zusammenhang: Wenn künftig Hunderte Milliarden in Waffen und Kriegsvorbereitung fließen, fehlt das Geld auch in den Kommunen, um diese Probleme zu lösen. Das Entstehen einer starken Friedensbewegung wäre tatsächlich auch deshalb wichtig, um massive Einschnitte in Städten und Gemeinden und den endgültigen Abriss unseres Sozialstaats zu verhindern.
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Berliner-zeitung