Claudia Müller: Rassismus und Armut: Ein komplexes Zusammenspiel
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Rassismus und Armut hängen in Deutschland eng zusammen. Eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft muss das Ziel sein – das ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch ökonomisch sinnvoll
In Deutschland gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Mit einem mittleren Jahreseinkommen von 45.358 Euro brutto (2024) liegt die Armutsgefährdungsgrenze demnach bei etwa 27.000 Euro. Doch die Ursachen für Armut sind vielschichtiger als reine Einkommensunterschiede. Ein oft übersehener Faktor ist der Einfluss von Rassismus auf die wirtschaftliche Situation von Minderheiten.
Aktuelle Studien zeigen erschreckende Unterschiede im Armutsrisiko verschiedener Bevölkerungsgruppen. Während das Armutsrisiko für Menschen ohne Migrationshintergrund bei 14,8 Prozent liegt, beträgt es für muslimische Männer 33 Prozent, für asiatische Männer 27 Prozent und für schwarze Männer 20 Prozent. Diese Diskrepanz lässt sich nicht allein durch Bildungsunterschiede oder Erwerbstätigkeit erklären. Selbst bei hohem Bildungsniveau und Vollzeitbeschäftigung bleibt das Armutsrisiko für diese Gruppen signifikant erhöht.
Bildung als Schlüssel?Bildung gilt als wichtiger Faktor für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Mobilität. Doch trotz formaler Chancengleichheit zeigen sich in der Praxis deutliche Unterschiede. Kinder mit Migrationshintergrund haben oft schlechtere Bildungschancen, sei es durch unzureichende Ressourcen in bestimmten Schulen oder subtile Diskriminierung im Bildungssystem. Diese Benachteiligung setzt sich im späteren Berufsleben fort und erhöht das Risiko dauerhafter Armut.
Rassismus manifestiert sich auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Studien belegen, dass Bewerberinnen und Bewerber mit ausländisch klingenden Namen oder dunkler Hautfarbe bei gleicher Qualifikation schlechtere Einstellungschancen haben. Diese Diskriminierung führt dazu, dass viele Betroffene in prekären und schlecht bezahlten Jobs landen, was ihre wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert.
Soziale Segregation und politische FolgenArmut und Rassismus verstärken sich gegenseitig durch soziale Segregation – also die räumliche Trennung der Wohngebiete von sozialen Gruppen. Von Armut Betroffene konzentrieren sich oft in benachteiligten Stadtvierteln mit schlechterer Infrastruktur, was den Zugang zu Bildung und Arbeit zusätzlich erschwert. Gleichzeitig fördert die räumliche Trennung Vorurteile und Misstrauen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
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Diese Dynamik hat auch politische Auswirkungen. Marginalisierte Gruppen haben oft weniger politischen Einfluss, was zu Frustration und Entfremdung führen kann. Die resultierende gesellschaftliche Polarisierung erschwert den Dialog und die Suche nach Lösungen für diese komplexen Probleme.
LösungsansätzeUm den Teufelskreis von Rassismus und Armut zu durchbrechen, sind umfassende Maßnahmen erforderlich:
- Bildungsinvestitionen: Alle Kinder müssen unabhängig von ihrer Herkunft Zugang zu hochwertiger Bildung erhalten. Dies erfordert gezielte Förderung benachteiligter Schulen und Sensibilisierung des Lehrpersonals für unbewusste Vorurteile.
- Arbeitsmarktreformen: Diskriminierung bei Einstellung und Beförderung muss aktiv bekämpft werden. Anonymisierte Bewerbungsverfahren und Diversity-Quoten können hier Fortschritte bringen.
- Politische Teilhabe stärken: Die Stimmen aller Bevölkerungsgruppen müssen in politischen Entscheidungsprozessen Gehör finden. Partizipative Ansätze auf kommunaler Ebene können hier ein erster Schritt sein.
- Interkultureller Dialog: Begegnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sollten gefördert werden, um Vorurteile abzubauen und gegenseitiges Verständnis zu fördern.
- Datenerhebung und Forschung: Um gezielte Maßnahmen entwickeln zu können, braucht es bessere Daten zur Situation von Minderheiten. Die Erfassung des Migrationshintergrunds in der Bildungsstatistik wäre hier ein wichtiger Schritt.
Die Bekämpfung von Armut und Rassismus erfordert ein Umdenken auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Nur wenn wir die komplexen Zusammenhänge zwischen diesen Phänomenen verstehen und angehen, können wir eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft schaffen. Dies ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch ökonomisch sinnvoll: Eine Gesellschaft, die das Potenzial aller ihrer Mitglieder nutzt, ist innovativer, produktiver und letztlich erfolgreicher.
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Auch die Wirtschaft steht hier in der Pflicht. Unternehmen, die auf Vielfalt und Inklusion setzen, profitieren nachweislich von einer breiteren Perspektive und höherer Mitarbeiterzufriedenheit. Diversity-Management sollte daher nicht als Kostenfaktor, sondern als Investition in die Zukunftsfähigkeit verstanden werden.
Der Weg zu einer gerechteren Gesellschaft ist lang und herausfordernd. Doch mit vereinten Kräften aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft können wir dieses Ziel erreichen – zum Wohle aller.
Claudia Müller ist Ökonomin und leitet seit 2017 das von ihr gegründete Female Finance Forum, das Frauen im Umgang mit Geld und nachhaltigen Investitionen weiterbildet. Davor studierte sie internationale VWL und arbeitete unter anderem bei der Deutschen Bundesbank, wo sie für das Thema Green Finance verantwortlich war. Dieses Wissen wandte sie parallel zur Gründung des Female Finance Forums in einem Single Family Office an, wo sie für die nachhaltigen liquiden Anlagen zuständig war.
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