Warum erkennt kein Land die Türkische Republik Nordzypern an?

Wenn die Morgensonne auf die engen Gassen von Nikosia trifft, zieht sich eine Linie mitten durch die Stadt; sie ist weder ganz sichtbar noch ganz unsichtbar.
Auf der einen Seite Schilder mit griechischen Buchstaben, auf der anderen türkische Flaggen… Dazwischen eine stille Grenze: Betonblöcke, Stacheldraht, UN-Soldaten in blauen Helmen und ein ununterbrochenes Warten seit zwei Jahrhunderten.
Nikosia ist bis heute die einzige geteilte Hauptstadt der Welt. In der einen Straße ertönt der Gebetsruf, in der anderen läuten die Kirchenglocken. Ein Schritt vorwärts, und man muss seinen Pass vorzeigen; ein Schritt zurück, und man befindet sich wieder in einem anderen Land.
Die Berliner Mauer fiel 1989. Doch die in Nikosia steht noch immer. Entlang der Grünen Linie herrscht Stille. Nur der Wind lässt die Fahnen an den Mauern beiderseits gleichzeitig wehen.
Und diese Stadt erzählt die Geschichte der nicht anerkannten Hälfte einer Inselnation . Es ist die Geschichte unerfüllter Abkommen, erstarrter Hoffnungen und eines Volkes, das es vergessen möchte.
Eine Geschichte, die nach einem halben Jahrhundert eingefroren ist
Ein halbes Jahrhundert ist seit der türkischen Friedensoperation von 1974 vergangen. Seitdem ist eine Insel mitten im Mittelmeer geteilt. Im Norden ein von Türken gegründeter, aber international nicht anerkannter Staat; im Süden eine griechisch-zyprische Verwaltung, die völkerrechtlich als Republik Zypern anerkannt ist. Nach dem Fall der Berliner Mauer trägt Nikosia als einzige die Bezeichnung „letzte geteilte Hauptstadt der Welt“.
Ein Problem mit Wurzeln im Osmanischen Reich und Knotenpunkten in der Kolonialzeit
Nach 307 Jahren osmanischer Herrschaft wurde Zypern 1878 britisches Protektorat. Damals lebten Griechen und Türken zwar auf der Insel zusammen, jedoch in getrennten Gebieten. In den 1950er Jahren begann die EOKA-Organisation mit dem Ziel, die Insel an Griechenland anzuschließen, ihren bewaffneten Kampf. Diese Zeit markierte auch den Beginn des Kampfes der türkischen Gemeinschaft auf der Insel um Selbstbestimmung unter dem Motto „Teilung oder Tod“.
Der Zusammenbruch der etablierten Republik
1960 wurde die Republik Zypern unter der Garantie Großbritanniens, der Türkei und Griechenlands gegründet, basierend auf der Gleichberechtigung der beiden Bevölkerungsgruppen. Diese Struktur blieb jedoch nur Theorie. 1963 widerrief der griechisch-zyprische Führer Makarios einseitig die der türkischen Bevölkerung gewährten Rechte. In der Folge wurden Dörfer niedergebrannt und die türkische Bevölkerung belagert. Türkische Zyprioten wurden aus 103 Dörfern vertrieben. Damit hörte die „Partnerschaftsrepublik“ faktisch auf zu existieren.
Putsch, Operation und Trennung
Am 15. Juli 1974 putschte Nikos Sampson, Mitglied der EOKA, mit Unterstützung der griechischen Militärjunta. Sein Ziel war die Annexion der Insel durch Griechenland. Die Türkei, als Garantiemacht, startete die Operation am 20. Juli. Nach fünf Tagen befanden sich 37 % der Insel unter türkischer Kontrolle. Dies war nicht nur eine Militäroperation, sondern ein Wendepunkt, der den Lauf der Geschichte veränderte. Die Türkische Republik Nordzypern wurde 1983 gegründet. Doch mit einem Unterschied: Die Welt ignorierte diesen Staat.
Warum weiß das niemand?
Die Resolution 541 des UN-Sicherheitsrates wurde am 18. November 1983 verabschiedet. Der Text der Resolution enthielt unter anderem folgende Aussagen:
„Die Erklärung der Türkischen Republik Nordzypern ist rechtlich ungültig und muss zurückgenommen werden. Die Mitgliedstaaten dürfen keinen anderen zyprischen Staat als die Republik Zypern anerkennen.“
Diese Entscheidung besiegelte das Schicksal der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) im internationalen System. Die Weltgemeinschaft, geleitet vom Prinzip der territorialen Integrität, sieht die Entstehung eines neuen Staates durch „Sezession“ mit Argwohn, da dies einen Präzedenzfall schaffen würde. Sollte die TRNZ anerkannt werden, könnten separatistische Bewegungen anderswo auf der Welt diesem Beispiel folgen.
Warum erkennt Aserbaidschan es also nicht an?
Obwohl Aserbaidschan einer der engsten Verbündeten der Türkei ist, erkennt es die Türkische Republik Nordzypern (TRNZ) nicht offiziell an. Hauptgrund dafür ist die Karabach-Frage . Für Baku könnte die Anerkennung von Gebieten, die von seinem Territorium abgetrennt sind, als „separatistische Republiken“ einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Aserbaidschans Rhetorik der „territorialen Integrität“ ist für seine nationalen Interessen von grundlegender Bedeutung. Daher könnte die Anerkennung der TRNZ einen Präzedenzfall für armenische Separatisten in Karabach schaffen.
Gleiches gilt für Pakistan und Katar. Obwohl diese Länder enge Beziehungen zur Türkei pflegen, verfolgen sie eine Politik der Nichtanerkennung, um das Gleichgewicht des internationalen Systems nicht zu stören.
Präzedenzfälle: Kosovo, Abchasien, Südossetien, Transnistrien
Zypern ist kein Einzelfall; es gibt andere Regionen, die ein ähnliches Schicksal teilen.
- Kosovo wird von mehr als 100 Ländern anerkannt, ist aber noch immer kein Mitglied der Vereinten Nationen.
- Südossetien und Abchasien werden nur von Russlands Verbündeten anerkannt.
- Transnistrien wird nur von Abchasien und Südossetien anerkannt; nicht einmal von Russland.
Der grundlegende Reflex des internationalen Systems ist klar:
„Ein neuer Staat kann gegründet werden, aber das Territorium eines bestehenden Staates kann nicht geteilt werden.“
Nordzypern wurde als Beobachtermitglied in die Organisation Türkischer Staaten eingeladen. Länder wie Kasachstan und Usbekistan hielten sich jedoch mit ihrer Beteiligung bedeckt. Dies bedeutet zwar keine offizielle Anerkennung, aber einen Zuwachs an politischer Sichtbarkeit. Auch wenn die Türkische Republik Nordzypern nicht mehr aktiv an der Organisation beteiligt ist, bleibt sie ihr weiterhin eng verbunden.
Recht auf der einen Seite, Realität auf der anderen.
Die Realität vor Ort hat sich seit 50 Jahren nicht verändert: Im Norden gibt es eine eigene Armee, eine eigene Regierung, eine eigene Wirtschaft und eine eigene Demokratie. Das Problem ist längst nicht mehr nur politischer Natur; es hat psychologische, wirtschaftliche und sogar kulturelle Dimensionen. Die Welt ignoriert es, kann seine Existenz aber nicht leugnen. Zypern ist einer der längsten eingefrorenen Konflikte im Mittelmeerraum; die vergangenen Jahre haben nicht nur zu diplomatischer, sondern auch zu gesellschaftlicher Erschöpfung geführt. Die jüngsten Wahlen, ein halbes Jahrhundert später, sind der sichtbarste Ausdruck dieser Erschöpfung.
Nach Schließung der Wahllokale in Nikosia drehten sich die Gespräche weniger um das Ergebnis als vielmehr um dessen Folgen. Die Aussage des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli nach der Wahl, die Türkische Republik Nordzypern solle sich für einen Beitritt zur Türkei entscheiden, sorgte auf der Insel für Überraschung und Entsetzen. Viele in Nikosia empfanden diese Aussage als einen historischen Bruch. Es ging nicht mehr nur um die Anerkennung, sondern um die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft.
Präsident Erdoğan schlug in seiner Stellungnahme zu den Wahlergebnissen jedoch einen anderen Ton an als Bahçeli. Er bezeichnete das Wahlergebnis als „demokratischen Willen des türkisch-zyprischen Volkes“ und betonte die Bedeutung von Zusammenarbeit und Garantien. Während Bahçelis Äußerung in westlichen Hauptstädten als Aufruf zur Annexion interpretiert wurde, spiegelte Erdoğans vorsichtiger Ton das Bestreben der Türkei wider, ihre internationale Legitimität zu wahren. Auf der einen Seite steht die Achse Ankara, die eine Zwei-Staaten-Lösung fordert, auf der anderen Seite Nikosia, die eine föderale Lösung anstrebt. Die Frage verschiebt sich nun von „Wer erkennt die Türkische Republik Nordzypern an?“ hin zu „Wer versteht das Volk der Türkischen Republik Nordzypern?“
Diese Gleichung hat drei Achsen:
- Nikosias Wunsch, in der Diplomatie wieder sichtbar zu sein,
- Ankaras Entschlossenheit, die Garantiemachtbasis zu schützen,
- Das Bestreben der internationalen Gemeinschaft, den „Zypern-Tisch“ wieder einzuführen.
Zypern ist nicht mehr nur eine in zwei Teile geteilte Insel; sie ist auch die Geografie einer geteilten Zugehörigkeit.
Und das vielleicht Traurigste daran ist: Damit ein Volk sichtbar sein kann, muss es manchmal unsichtbar bleiben.
Aydogan Yuce \ Timeturk
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