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Medienkolumne: Keiner der ÖRR-Verantwortlichen in der Affäre Gelbhaar musste gehen

Medienkolumne: Keiner der ÖRR-Verantwortlichen in der Affäre Gelbhaar musste gehen

Von heute an schreiben an dieser Stelle wöchentlich und im Wechsel die vier Kolumnisten Annekatrin Mücke, Alexander Teske, Ole Skambraks und Peter Welchering über brisante Themen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen.

Die Geschichte des RBB ist reich an Verfehlungen. Doch die Affäre Gelbhaar sticht heraus: Eine nicht existente Hauptbelastungszeugin und erfundene Vorwürfe gegen einen Spitzenpolitiker der Grünen – das steht in einer Linie mit den Hitler-Tagebüchern des Stern und dem Relotius-Skandal des Spiegel.

Mit entscheidenden Unterschieden: Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben die privaten Magazine ihr Versagen gründlich aufgearbeitet und daraus Konsequenzen gezogen. Die Verantwortlichen wurden entlassen und die Untersuchungsberichte wurden veröffentlicht.

Ganz anders der RBB. Erstens musste keiner der Verantwortlichen bisher gehen. Weder die Chefin der Abendschau, die den Beitrag abgenommen hat, noch die drei beteiligten Redakteure. Und auch nicht die Justiziarin. Diese hatte nicht nur den Beitrag vom 31.12.24, sondern auch das komplette anschließende Gespräch im Studio abgenommen, weswegen es extra zweimal aufgezeichnet werden musste. Im Gegenteil: Einer der Hauptverantwortlichen wurde sogar befördert – und zwar bevor die Untersuchungen zur Affäre überhaupt abgeschlossen waren.

Jahresgehalt behalten

David Biesinger trat zwar vom Amt des Chefredakteurs zurück. Doch er hat nicht nur sein Jahresgehalt von 160.000 Euro behalten, sondern übernahm noch kommissarisch die Leitung der Hauptabteilung Programmressourcen. Im RBB erzählt man sich, dass Biesinger bereits vor drei Jahren den damaligen Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus gefragt hatte, ob er die Stelle haben könnte. Auf LinkedIn wurden nun Mitglieder angeregt, Biesinger zur Beförderung zu gratulieren.

Auch die Programmdirektorin Katrin Günther ist zwar offiziell zurückgetreten. Aber ihr Amt wird sie noch bis zum September ausüben. Danach bleibt sie dem Sender wahrscheinlich erhalten.

Skandale & Co.: Der RBB kommt nicht zur Ruhe.
Skandale & Co.: Der RBB kommt nicht zur Ruhe.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Und zweitens bleibt der Untersuchungsbericht geheim. Dabei handelt es sich um den ÖFFENTLICH-rechtlichen Rundfunk. Der Untersuchungsbericht wurde bei der Beratungsfirma Deloitte und dem NDR-Journalisten Stephan Wels in Auftrag gegeben und umfasst 96 Seiten. Deloitte stellte dafür 65.000 und Wels 12.000 Euro in Rechnung – der Bericht hat also zusammen 77.000 Euro brutto an Gebührengeldern gekostet. Lesen dürfen ihn aber nur Mitglieder des Rundfunkrates – in einem abgeschotteten Raum. Sie müssen das Handy abgeben und dürfen keine Notizen machen. Lediglich eine sechsseitige Zusammenfassung des Berichts wurde veröffentlicht.

„Persönlichkeitsrechte“ und „Datenschutzgründe“ würden gegen eine komplette Veröffentlichung sprechen, erklärt der RBB. Das wirft Fragen auf: In der sechsseitigen Zusammenfassung ist durchgängig von Person A, Person B und so weiter die Rede. Warum kann man das für die kompletten 96 Seiten nicht auch so handhaben? Welche Persönlichkeitsrechte sollen damit verletzt werden?

Vielleicht nur ein Aprilscherz

Könnte der wahre Grund ein anderer sein? Könnte es sein, dass hinter die 96 Seiten noch ein Schreiben einer Anwaltskanzlei geheftet ist? Einer Kanzlei, die den Ex-Chefredakteur Biesinger vertritt? Wie ich von vier Menschen gehört habe, die den geheimen Leseraum betreten durften, handelt es sich um jene Kanzlei, die bereits andere hochrangige ehemalige Mitarbeiter wie Patricia Schlesinger, Christoph Singelnstein oder Claudia Nothelle erfolgreich gegen den RBB vertreten hat.

Steht für das Versagen in der Causa Gelbhaar: David Biesinger, damaliger Chefredakteur des RBB.
Steht für das Versagen in der Causa Gelbhaar: David Biesinger, damaliger Chefredakteur des RBB.dpa

Hat der RBB Angst vor einer erneuten juristischen Niederlage? Die Intendantin Ulrike Demmer sagte dazu öffentlich: „Wir haben hier im RBB mehr als genug Erfahrungen mit Zeit und Geld raubenden Nachspielen vor Gericht. Was wir gemacht haben, war richtig und im besten Interesse des RBB.“ Warum ist diese Aussage irreführend?

David Biesinger steht sinnbildlich für das Versagen in der „Causa“, wie der Fall Gelbhaar senderintern genannt wird. Als er im Medienmagazin von Radio Eins gefragt wurde, ob er Verantwortung übernehmen wolle, sprach Biesinger von „Symbolpolitik“ und einer „Pro-forma-Nummer“. Seine Rolle als Chefredakteur hätte er immer so interpretiert, dass er seinen Mitarbeitern maximal freie Hand lasse und sich deswegen nicht einmische. Dabei stand schon in der Stellenausschreibung des RBB für die Position des Chefredakteurs am 1. April 2024: „ihr Aufgabengebiet umfasst … inhaltliche Verantwortung für erstklassigen unabhängigen ausgewogenen Nachrichtenjournalismus und investigative Hintergrundberichterstattung …“ Vielleicht doch nur ein Aprilscherz.

Obwohl das Versagen des RBB bereits am 14.12.24 mit einer falschen Berichterstattung einsetzte und der Chefredakteur mehrfach über die Recherche informiert wurde, stieg Biesinger bis zur Ausstrahlung des Beitrags nicht richtig in die „Causa“ ein. In der Analyse von Deloitte heißt es: „Trotz der Tragweite eines solchen MeToo-Falles ließ sich der Chefredakteur lediglich rudimentär über die Recherche und das Zustandekommen der Berichterstattung informieren. Eine eigene inhaltliche Befassung durch ihn – etwa mit der Qualität der Aussagen – fand nicht statt.“

Wie glaubhaft kann ein Neuanfang im Sender sein, bei dem einer der Hauptakteure keine Verantwortung übernimmt, sondern befördert wird? Stattdessen werden den Mitarbeitern nun verpflichtende Schulungen angeboten? Ein langjähriger Redakteur dazu: „Ich werde nun wie ein unwissender Praktikant behandelt, weil andere grobe handwerkliche Fehler begangen haben.“

Konsequenzen sehen anders aus

Unklar bleibt, warum der Chefredakteur nicht die erfahrenen Rechercheure von RBB24 mit einbezog, sondern diese parteiinterne Intrige den Kollegen der Landespolitik überließ. Unklar bleibt auch, warum Biesinger angesichts der treibenden Kraft hinter der „Causa“ keine Störgeräusche empfand. Denn die hauptverantwortliche Redakteurin hatte schon einmal einen kapitalen Bock geschossen: Im „Morgenmagazin“ der ARD hatte sie lang und breit die Inhaber einer Firma als Vorzeigeunternehmer interviewt. Nur hatte sie zu erwähnen „vergessen“, dass sie Anteile an dieser Firma hält. Trotzdem berichtete diese Redakteurin später für den RBB aus dem ARD-Studio Warschau und aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Konsequenzen sehen anders aus.

Nach dem Bekanntwerden des Skandals besuchte Chefredakteur Biesinger das Opfer der Rufmordkampagne, Stefan Gelbhaar, und bat um Entschuldigung. Gelbhaar lehnte ab, es müsse erst geklärt werden, ob strukturelle Fehler im RBB für das Versagen verantwortlich seien. Es sieht so aus, als ob der RBB kein wirkliches Interesse daran hat, sich diese strukturellen Probleme vorzunehmen.

Nach dem Desaster um die abgesetzte Intendantin Patricia Schlesinger empfanden viele RBB-Mitarbeiter die kurze Amtszeit von Katrin Vernau als ein Zwischenhoch, eine Art Tauwetter. Seit die ehemalige Regierungssprecherin Ulrike Demmer den Posten übernommen hat, sagen manche Mitarbeiter, sei es „schlimmer als zu Schlesinger-Zeiten“. Und das will was heißen.

Berliner-zeitung

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