Körperbild in den Wechseljahren: Du bist meine Heldin, Nadja Auermann!
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Der weibliche Körper verändert sich mit der Menopause. Unsere Autorin hadert damit, aber sie will sich an Nadja Auermann ein Beispiel nehmen. Denn das Ex-Supermodel findet: Ab 50 dürfen Frauen ruhig dicker werden.
Schön wär's! Das meine ich jetzt gar nicht ironisch. Ich fänd's wirklich schön, wenn ich mich mit meiner neuen Silhouette anfreunden könnte. Zu dem Thema streiten sich in mir sehr gemischte Gefühle. Einerseits habe ich ein großes Herz für Frauen, die keine Idealmaße haben und es ärgert mich maßlos, wenn sie deshalb diskriminiert werden. Andererseits bin ich sehr gut darin, meinen eigenen Body zu shamen. Es ist also kompliziert.
"Du bist jetzt 50, du darfst ein bisschen dicker sein."Nadja Auermann, langbeiniges Supermodel der 1990er-Jahre, gab ein Interview, in dem sie aus Hitzewallungsgründen nicht nur nonchalant nach ihrem Fächer griff, sondern auch mit dem Satz aufhorchen ließ: "Ich hab mir gesagt: Du bist jetzt 50, du darfst ein bisschen dicker sein." Für diese Botschaft möchte ich sie küssen! Oder zumindest feiern, ich kenne sie ja nicht persönlich.
Was ich an dieser Haltung so bemerkenswert finde: Die Frau hat es in einer Branche zu Weltruhm gebracht, in der nur extrem schlanke Körper zählen. Wir erinnern uns: Damals war der Heroin Chic erstmalig en vogue. Das prägt doch! Im RTL-Interview gesteht sie deshalb auch, dass es sie zuerst verunsichert hat, als sich ihre Figur veränderte: "Viele haben von den Supermodels der 90er ein bestimmtes Bild im Kopf, dem man entsprechen muss. Da merke ich dann schon, dass ich auch ein bisschen geschädigt bin, immer perfekt sein zu wollen." Aber dann legt sie sich eben nicht wie viele andere unters Skalpell beziehungsweise den Fettabsauger, sondern steht dazu, dass sie jetzt so ist, wie sie ist.
Linda Evangelista, US-Supermodel-Kollegin aus jener Zeit, wählte den anderen Weg. Sie machte vor ein paar Jahren öffentlich, dass eine Coolsculpting-Behandlung, die eigentlich ihre Fettzellen wegfrieren sollte, die entgegengesetzte Wirkung entfaltete und sie stattdessen wachsen ließ. Sie sehe nun "monströs" aus. Mich hat ihre Wortwahl damals total abgestoßen und ich hätte ihr am liebsten zugerufen: "Jetzt siehst du mal, wie das ist, wenn man zufällig nicht dem blöden Schönheitsideal entspricht, das gerade in der westlichen Welt vorherrscht" (und was übrigens zum Teil genetisch bedingt ist, also Glücksache).
Aber: Ich sehe es ihr nach. Denn was den Umgang mit dem eigenen Körperbild angeht, bin ich mehr Linda und weniger Nadja. Auch wenn mir das nicht gefällt.
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Die Wechseljahre sorgen bei dir für Schlafmangel, Stress, Stimmungs- und Gewichtsschwankungen? Keine Sorge, du bist nicht allein! Im BRIGITTE Academy Onlinekurs unterstützen dich erfahrene Expertinnen mit konkreten Tipps und Übungen für deinen Alltag.
Hier sind die Fakten: Mit dem Beginn der Wechseljahre, wenn die Sexualhormone zu schwanken beginnen, verändert sich die Fettverteilung in Richtung Körpermitte. Bildlich gesprochen wandelt sich die birnenförmige Figur mit Hüfte und Po in eine apfelförmige mit Bauch nach vorne. Außerdem erhöht sich der Körperfettanteil insgesamt.
Das geschieht auch, wenn man sich, wie die Jahre zuvor einigermaßen anständig ernährt und nicht etwa angefangen hat, unkontrolliert zu futtern. Diese allgemeine Gewichtszunahme in den Wechseljahren liegt schlicht an der Tatsache, dass jetzt der Grundumsatz sinkt, also die Menge an Kalorien, die der Körper im Ruhezustand braucht, um zu funktionieren (für Atmung, Verdauung, Herzschlag und so weiter). Das hängt mit dem altersgemäßen Abbau an Muskelmasse zusammen und einem langsamer werdenden Stoffwechsel.
Will ich nicht zunehmen, muss ich also erstens weniger essen und mich zweitens mehr bewegen, um mit einem erhöhten Leistungsumsatz gegenzusteuern (hier erfährst du mehr über die passende Ernährung in den Wechseljahren). Das klingt einfacher als es ist. Denn das sagt einem ja niemand rechtzeitig! Das heißt, ich hätte schon längst anfangen müssen, meinen Lebensstil zu verändern, bevor ich, wie jetzt plötzlich meine Taille vermisse und überhaupt ein bis zwei Kleidergrößen mehr brauche.
Frauen und ihr verzerrtes KörperbildAus meiner Familie kenne ich den Spruch "Ab einem gewissen Alter müssen sich Frauen entscheiden, entweder Ziege oder Kuh zu werden." Ich fand immer beide Alternativen nur wenig verlockend, aber schon als Kind verstand ich: Kühe sind dick und gemütlich, Ziegen nicht, dafür aber zickig. Und: In der Richtung kommt irgendetwas auf mich zu.
Eine andere Lektion, die ich früh gelernt habe: Abnehmversuche sind lobenswert und werden unterstützt. Das war sicher gut gemeint, aber diese "Diätmentalität", wie die Psychologische Psychotherapeutin Dr. Julia Tanck es in einer Folge des BRIGITTE-Podcasts MENO AN MICH formuliert, haben viele Frauen verinnerlicht. Wir sind mit ihr praktisch groß geworden. So kommt es auch, dass ich recht gut bin im "Fat Talk" – einer unreflektierten Marotte, mit Freundinnen, zwar mit einem Humormäntelchen verziert, relativ gnadenlos über die eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten und diverse Speckröllchen herzuziehen. Bis ich den Begriff "Fat Talk" zum ersten Mal hörte, habe ich dieses mich selbst abwertende Verhalten null hinterfragt.
Werden andere wegen ihrer Figur diskriminiert, gehe ich dagegen sofort auf die Barrikaden. Kürzlich veröffentlichte die Pronova BKK eine repräsentative Umfrage zum Thema Urlaub und Schönheitsideale. Demnach sind 43 Prozent der unter 30-Jährigen der Meinung, "Übergewichtige sollten sich nicht in Badekleidung zeigen". Das treibt mir Tränen der Wut und Empörung in die Augen. Weitergedacht hieße das ja: Zugang zu Strand und Freibad nur noch für Schlanke, nach bestandener Ansehnlichkeits-Kontrolle? Entwürdigend!
Aller Bodypositivity-Bemühungen zum Trotz bekommt die Gesellschaft das Schönheitsideal einfach nicht aus dem Kopf, nach dem nur ein schlanker Körper ein vorzeigbarer Körper ist. Die Folge: 75 Prozent der befragten Frauen versuchen beschämt, Körperstellen, die sie an sich nicht mögen, bestmöglich zu verstecken. Traurig. Ich finde auch manche Tattoos, die ich sehe, nicht schön oder ästhetisch. Fordere ich diese Menschen auf, sich zu verhüllen? Natürlich nicht!
Essstörungen in der LebensmitteWie relevant das Thema ist, belegen die Zahlen, die Dr. Tanck im Podcast liefert: So haben Frauen um die 50 statistisch gesehen ein ebenso hohes Risiko an Essstörungen zu erkranken wie in der Pubertät – einer Phase, die wie die Wechseljahre von Hormonumstellungen und -schwankungen gekennzeichnet ist. "25 bis 35 Prozent der Patientinnen in der ambulanten und stationären Behandlung von Essstörungen sind über 45 Jahre alt", sagt die Expertin. "Es ist ein Vorurteil, dass nur Mädchen und junge Frauen davon betroffen sind. Wir haben einen zweiten Erkrankungsgipfel bei Frauen zwischen 45 und 54."
Achtung: Das bedeutet nicht, dass jede Person, die sich in ihrem Körper unwohl fühlt, automatisch eine Essstörung hat. Manchmal drängt sich "nur" ein negatives Körperbild, eine verzerrte Wahrnehmung in den Vordergrund – in der Fachsprache: Körperschemastörung. Dr. Julia Tanck: "Es gibt Studien, die zeigen, dass auch Frauen, die nicht von einer Essstörung betroffen sind, ihren Körper zum Teil nicht realistisch einschätzen. Auch bei gesunden Frauen haben wir tendenziell eine Überschätzung der Körperdimensionen." Bei dem Satz habe ich mich ertappt gefühlt. Denn ich höre oft "Du bist doch nicht dick!" und fühle mich dann insgeheim total unverstanden, weil ich im Spiegel oder auf Fotos doch etwas anderes sehe.
Zufrieden mit dem eigenen IchUnd deshalb nehme ich mir jetzt Nadja Auermann zum Vorbild. Sie hat zugenommen. Das fand sie nicht toll. Aber sie akzeptiert sich, wie sie eben ist. Wenn sie als ehemaliges Model das kann, schaffe ich als Nicht-Model das ja wohl auch. Was mir dabei helfen wird, ist: das Älterwerden! Denn Dr. Tanck erzählte noch von einer Online-Studie an der Universität Osnabrück zur Veränderung der Körperzufriedenzeit über die Lebensspanne. Dabei kam – wenig überraschend – heraus, dass Frauen generell weniger zufrieden sind mit ihrem Körper und dass Aussehen für sie wichtiger ist als für Männer. Was aber auch deutlich wurde: Mit dem Alter wird das Thema immer unwichtiger. Dann werde ich meinen Körper also künftig mehr wertschätzen können. Das wird schön.
Brigitte
brigitte