Bildungskrise | Holpriger Schulbetrieb
Fehlzeiten von Schülern haben erhebliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung. Dies belegt eine englische Studie, über die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berichtet: »Die Ergebnisse zeigen, dass Fehltage in allen Jahrgangsstufen mit geringeren Leistungen in den Abschlussprüfungen zusammenhängen.« Während für deutsche Schulen bislang keine vergleichbare Erhebung vorliegt, zeigen Beobachtungen, dass auch hier Kinder und Jugendliche häufiger im Unterricht fehlen.
Das DIW stützt sich auf Daten aus Berlin und Thüringen. In Berlin verpassten Schüler im vergangenen Jahrzehnt etwa sechs bis sieben Prozent des Unterrichts – zumeist entschuldigt. Mittlerweile liegt dieser Wert bei über neun Prozent. In Thüringen hat sich die Zahl der Schüler mit unentschuldigten Fehlzeiten auf sieben Prozent verdoppelt. Das DIW geht davon aus, dass viele Fehlzeiten Schüler langfristig benachteiligen.
Noch gravierender als individuelle Fehlzeiten ist allerdings der Unterrichtsausfall. In Berlin hat dieser Höchststände erreicht: Im Schuljahr 2022/23 konnte fast jede siebte Stunde nicht regulär stattfinden, sondern musste vertreten werden oder fiel ersatzlos aus. In Nordrhein-Westfalen fanden im ersten Halbjahr 2023/24 nur etwas mehr als drei Viertel des Unterrichts planmäßig statt, in Hamburg waren es immerhin 90 Prozent der Stunden. Der Bildungsforscher Marcel Helbig beklagte im »RBB« die »desaströse Datenlage«. Die wenigen verfügbaren Werte lassen jedoch erkennen, dass der häufige Unterrichtsausfall beträchtliche Lücken reißt.
Als Hauptgrund für den Unterrichtsausfall gilt der bundesweite Lehrkräftemangel. In Hessen beklagte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dass für das laufende Schuljahr rund 10 000 Pädagogen fehlen. Eine Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung in Baden-Württemberg ergab im vergangenen Herbst, dass 70 Prozent der Schulen unter Lehrkräftemangel leiden.
Besonders prekär ist die Situation für geflüchtete Kinder und Jugendliche, wie der Kinderschutzbund betont. Sie müssen oft monatelang in Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren, wo sie häufig nur unzureichend unterrichtet werden. Auch nach einer Umverteilung entstehen lange Wartezeiten, wie der Verband in einer Analyse von Anfragen an Landesregierungen feststellt. Insgesamt kann es für geflüchtete Kinder bis zu drei Jahre dauern, bis sie in einer Regelklasse unterrichtet werden.
Das deutsche Bildungssystem arbeitet am Limit. Die vorliegenden Analysen verdeutlichen nicht nur die strukturellen Mängel, sondern zeigen auch deren Auswirkungen auf den Lernerfolg auf.
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