Die Grünen wollen ihr Ost-Problem lösen: Nur mit Birthler und Kowalczuk wird das nichts

Vor drei Jahren hielt Heiko Knopf eine Rede auf dem Parteitag der Grünen, die anders klang als das, was man dort sonst so hörte. Das lag schon an dem leichten Dialekt, der die Thüringer Herkunft von Knopf verriet. Ein Ostdeutscher bei den Grünen? Der kein Bürgerrechtler aus DDR-Zeiten war? Knopf ist im Wendejahr 1989 in Jena geboren.
Er erzählte von seiner Mutter, die in der DDR als Feinmechanikerin optische Messinstrumente hergestellt hatte, nach der Wende in die Betriebsküche versetzt, dann arbeitslos wurde. Die jahrelang als Leiharbeiterin kämpfte. Er habe als Kind „voll mitbekommen, was es bedeutet, wenn in der Woche 50 Bewerbungen geschrieben werden, aber am Ende kein Job kommt“, sagte Knopf und schob schnell den Satz nach, den Ostdeutsche verwenden, wenn sie im Westen über die Nachwendezeit reden: „Ich sage das nicht, um zu jammern.“
Ein Ossi im Vorstand, auf den niemand hörtKnopf wies darauf hin, dass im Osten immer noch weniger Lohn für die gleiche Arbeit gezahlt wird, die Vermögen viel kleiner sind. Er sagte: Ob den Grünen der Aufbruch gelingt, entscheide sich auch im Osten. Die Partei wählte ihn in den Vorstand, aber es wirkte in den Jahren, die seitdem vergangen sind, nicht so, als habe sie ihm zugehört. Knopf ist immer noch im Vorstand, der einzige Ostdeutsche neben fünf Westdeutschen. Der Quotenossi der Parteiführung. Er ist 35 Jahre alt und Optikingenieur, mit Doktortitel, auch das unterscheidet ihn von vielen Grünen, die nur im Politikbetrieb gearbeitet haben.

Nun aber steht sein Name über einem neuen Papier, zusammen mit dem von Felix Banaszak, dem Parteivorsitzenden aus Duisburg. Einem Impulspapier, mit dem die Grünen ihr Ost-Problem angehen wollen.
Das haben sie jetzt auf einmal entdeckt. Jahre nach so ziemlich jedem, der von außen auf die Partei und den Osten schaut. Monate nach dem Ende der Ampelkoalition und der Bundestagswahl, fast ein Jahr nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, bei denen die miserablen Ergebnisse für die Partei längst keine Überraschung mehr waren. Die Grünen hätten die Fünf-Prozent-Hürde im Osten in den letzten Jahren öfter von unten als von oben gesehen, schreiben Knopf und Banaszak. Und: „Haben wir den Osten aufgegeben – oder der Osten uns?“ Als Antwort darauf schreiben sie: „Weder noch.“ Das sei allerdings kein Befund. Sondern ein Anspruch.
Was die Grünen im Osten jetzt vorhabenBeim Befund kann man helfen: Wer es schafft, jahrelang nicht auf solche Wahlergebnisse im Osten zu reagieren, dem ist der Osten vermutlich ziemlich egal. Im Osten sind die Grünen ein Aufregerthema, wenn sie überhaupt ein Thema sind. Sie stehen in aktuellen Umfragen in allen fünf ostdeutschen Bundesländern zwischen drei und fünf Prozent. Die Partei, die selbstbewusst mit der schwarz-roten Bundesregierung über alles verhandelt, was mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag erledigt werden muss, etwa eine Richterwahl, bezieht ihre Legitimation dafür fast ausschließlich aus dem Westen. Für viele ostdeutsche Wähler wirkt der Einfluss, den die Grünen auch nach dem Ende der Ampel im politischen Berlin haben, befremdlich. Hat der Osten die Grünen aufgebeben? Danach sieht es im Moment aus.
Haben die Grünen den Osten aufgeben? Es gibt einen Dokumentarfilm über den Bundestagswahlkampf 2021 in Thüringen, aus dem Wahlkreis, in dem Hans-Georg Maaßen antrat. In einer Szene erfährt die Frau, die sich für die Grünen dort abrackert, dass die Parteispitze aus Berlin dazu aufruft, ihren Konkurrenten von der SPD zu wählen. Ohne sie zu treffen vorher. Sie ist vollkommen erschüttert und inzwischen nicht mehr in der Partei.
Nun aber sind die Grünen nicht mehr in der Regierung, sie wollen sich, so das Impulspapier, die Zeit nehmen, die 35 Jahre seit der Wiedervereinigung aufzuarbeiten. Klingt nach der größtmöglichen Ost-Kehrtwende. „Womit haben wir im Osten überzeugt, womit nicht?“, will man sich fragen. Schließlich hatten sich viele DDR-Bürgerrechtler der Partei angeschlossen, das Bündnis 90. Die Grünen wollen „noch in diesem Herbst“ einen Ost-Kongress abhalten. Sie wollen ihre Verbände im Osten häufiger besuchen und auch zu Bürgergesprächen in den Osten kommen. Sie wollen dabei „nicht den Eindruck erwecken, dass wir die besten Ideen haben, die im Osten nur noch nicht verstanden worden sind.“ Gute Idee. Aber ob ausgerechnet die Grünen das hinbekommen?
Die Ost-Experten der Grünen: DDR-BürgerrechtlerLeider, muss man sagen, hat die Partei schon vor ihren Analysen und Kongressen einen Ost-Beirat einberufen. Und dabei gezeigt, wie verengt ihr Blick auf Ostdeutschland ist. Vor allem, wenn man auf die bekannten Namen schaut, die neben Politikern aus den ostdeutschen Verbänden dabei sind.

Katrin Göring-Eckardt, Marianne Birthler, Ilko-Sascha Kowalczuk sollen im Jahr 2025 den Ost-Blick der Grünen erweitern. Die beiden DDR-Bürgerrechtlerinnen und der Historiker, der vielen DDR-Bürgerrechtlern nahesteht. Deren Verdienste in der Wendezeit werden zu Recht in großen Ehren gehalten, doch für die meisten Menschen im Osten sprechen Vertreter dieser Bewegung seit Jahrzehnten nicht mehr. Schon bei der Wahl 1990 schnitten sie nicht besonders gut ab. Das hätten die Grünen mitbekommen können. Wenn sie vom Osten den Hauch einer Ahnung hätten.
Die Bürgerrechtler wollen das auch gar nicht, für die Ostdeutschen sprechen, um Himmels willen. Sie halten schließlich die meisten Menschen im Osten – anders als sich selbst – für mehr oder weniger diktaturgeschädigt. Marianne Birthler fasste eine unter ihnen weitverbreitete Position im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Tagesspiegel so zusammen: „In der DDR wurde nicht gelernt, öffentlich und frei zu diskutieren. Es gab nur Schwarz und Weiß, richtig und falsch, wir und die. Differenzierungen wurden in der DDR nicht gelernt und gelehrt. Deswegen sind die Positionen im Osten heute radikaler, unversöhnlicher. Es gibt keine Tradition, Positionen zu verhandeln und verschiedene Meinungen auszuhalten.“
Das hätte vermutlich auch Göring-Eckart sagen können, die „einigen“ Ostdeutschen vor zwei Jahren vorgeworfen hatte, „irgendwo in der Diktaturverherrlichung“ hängen geblieben zu sein, weil dort „jemand anderes alles für sie lösen musste“. Ebenfalls im Tagesspiegel, der Zeitung, in der Liedermacher-Bürgerrechtler Wolf Biermann Ostdeutsche als „chronisch seelenkrank“ diagnostiziert hatte.
Oder Ilko-Sascha Kowalczuk, der als Historiker mit klugen Büchern viel zum Verständnis der DDR und der Wendezeit beigetragen hat, sich nun aber auch mit der Psyche der Ostdeutschen befasst. Und ihnen eine Post-Diktatur-Schädigung bescheinigt, die er „Freiheitsschock“ nennt. Er hat ein ganzes Buch zu dieser These geschrieben, das ein Gegenbuch zum Bestseller von Dirk Oschmann über die Herabsetzungen Ostdeutscher sein sollte, und im Westen sehr gut ankam. Eine weitere Ostdeutsche im Grünen-Beirat ist Grit Friedrich, auch sie war als Bürgerrechtlerin in der DDR aktiv. Heute findet man einen Vortrag von ihr im Netz, in dem sie der Frage nachgeht, ob das andere Russland-Bild in Ostdeutschland auf den „Missbrauch von Traumata“ der Ostdeutschen in der russischen Propaganda zurückgeht.
Das ist die Perspektive der bekannten Ost-Experten der Grünen auf den Osten. Natürlich ist sie legitim, aber sie ist weder neu noch überraschend, erzeugt keine Diskurse im Osten. Sie wird im Osten von so gut wie niemandem außerhalb der eigenen Szene geteilt, ist zum Teil (die chronischen Seelenschäden) durch wissenschaftliche Arbeiten widerlegt. Sie kreist oft um die Vergangenheit, die DDR, die Diktatur.
Man könnte sie in einem Beirat ergänzen, herausfordern, man könnte Leute wie Dirk Oschmann berufen, um produktive Diskussionen zu führen, um im Nachdenken über den Osten weiterzukommen. Oder den Soziologen Steffen Mau, der Ost-West-Unterschiede nüchtern ergründet. Vielleicht steht er als Wissenschaftler für solche Zwecke nicht zu Verfügung. Man hätte Unternehmer einbeziehen können, Menschen aus der Mitte der ostdeutschen Gesellschaft, Gewerkschafter, die die heutigen Probleme zwischen Ostsee und Erzgebirge kennen. Das würde möglicherweise zu Erkenntnissen führen, die über das hinausgehen, was man sich im Westen – und damit auch bei den Grünen – ohnehin so über den Osten denkt.
Das sind die Mitglieder im „Vorstandsbeirat Bündnisgrüner Osten“Felix Banaszak, BundesvorsitzenderMarianne Birthler, Ex-Bundesbeauftragte für die Stasi-UnterlagenJudith C. Enders, Politikwissenschaftlerin, Mitgründerin Dritte Generation OstdeutschlandStefan Fassbinder, Oberbürgermeister GreifswaldGrit Friedrich, DDR-BürgerrechtlerinKatrin Göring-Eckardt, BundestagsabgeordneteMichael Kellner, BundestagsabgeordneterCarla Kniestedt, Journalistin und ehemalige Landtagsabgeordnete in BrandenburgHeiko Knopf, stellvertretender BundesvorsitzenderIlko-Sascha Kowalczuk, HistorikerTobias Kremkau, Kreisvorsitzender Grüne AltmarkLuna Möbius, Aktivistin und Referentin für politische KommunikationLukas Mosler, Landesparteirat SachsenNicole Peter, Grünes Forum Selbstverwaltung Mecklenburg-VorpommernFranziska Schubert, Fraktionsvorsitzende SachsenSusan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende Sachsen-Anhalt
Tammo Westphal, Grüne Jugend
Berliner-zeitung