Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Eskalation in Nahost: Das sind die Sorgen und Hoffnungen einer Berliner Politikerin

Eskalation in Nahost: Das sind die Sorgen und Hoffnungen einer Berliner Politikerin

Gollaleh Ahmadi durchlebt gerade schwere Nächte. Da geht es der Grünen-Politikerin aus dem Abgeordnetenhaus wahrscheinlich so wie den meisten der rund 18.000 iranischstämmigen Menschen in Berlin. Der Krieg zwischen Israel und der alten Heimat lässt die 43-Jährige nicht mehr schlafen.

Es ist die Ungewissheit darüber, was als Nächstes kommt. Darüber, dass US-Präsident Donald Trump mal eben postet, „jeder sollte Teheran sofort verlassen“ – in der Metropolregion leben 20 Millionen Menschen –, um bald darauf von einem „echten Ende“ des Konflikts zu sprechen. Die Ungewissheit darüber, was Israels Außenminister Katz meint, wenn er sagt: „Wir werden heute sehr bedeutsame Ziele in Teheran angreifen. Wir werden dem Iran weiter schwere Schläge versetzen.“ Die Ungewissheit darüber, ob Kanzler Friedrich Merz recht behält, wenn er sagt, er vermute, dass in der US-Regierung derzeit über den Einsatz bunkerbrechender US-Waffen im Iran beraten werde.

Gollaleh Ahmadi: Was passiert, wenn der Konflikt eskaliert?

Für die Berliner mit Wurzeln im Iran sind das die wichtigsten Fragen derzeit: Was passiert, wenn der Konflikt eskaliert? Was bedeutet all dies für die Menschen dort? Wie geht es ganz konkret den Angehörigen und Freunden, die in Teheran verblieben sind?

Gollaleh Ahmadi hat noch Verwandte in Teheran, ihre beste Freundin aus Schulzeiten ist auch noch dort. Sie steht nicht allein da. Viele in Berlin lebende Verwandte, Angehörige und Freunde wollten derzeit immer erreichbar sein, erzählt sie der Berliner Zeitung. Um zu zeigen: Ihr seid nicht allein.

Zugleich weiß sie von dem Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht und der Angst derjenigen, die hier in Sicherheit sind. Jede Eilmeldung sorgt für Panik. Besonders schlimm sind die Phasen, wenn sich jemand aus Teheran längere Zeit nicht zurückmeldet.

Ahmadis Mutter war Journalistin, der Vater Gewerkschafter, beides hochpolitische Leute – und damit im Visier des Mullah-Regimes. Nach Jahren der politischen Verfolgung, zwischenzeitlicher Inhaftierung und dem Ausweichen in den Untergrund war der Zeitpunkt erreicht, das Land zu verlassen. 1996 wanderten Mutter und Vater Ahmadi zusammen mit ihren beiden Töchtern aus.

In Deutschland lebte die Familie zunächst dreieinhalb Jahre in einer Flüchtlingsunterkunft, ehe sie sich in Fürstenwalde an der Spree niederließ. Ahmadi absolvierte ihre Schulausbildung und bestand 2004 das Abitur in Fürstenwalde. Anschließend studierte sie Geschichte und Kultur des Vorderen Orients sowie Politikwissenschaften in Magdeburg, Frankfurt (Oder) und Berlin. Erst als sie nach vielen Jahren den deutschen Pass in der Hand hatte, habe sie sagen können: Jetzt bin ich komplett! Inzwischen lebt sie in Spandau.

Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei
Irans Religionsführer Ajatollah Ali ChameneiVahid Salemi/AP
Gollaleh Ahmadi: Job im Büro von Omid Nouripour

Sie engagierte sich hierzulande bei Protesten gegen die Islamisten im Iran und solidarisierte sich mit den oftmals zersplitterten dortigen Oppositionellen. Später landete sie bei den Grünen, arbeitete im Bundestagsbüro des späteren Parteivorsitzenden Omid Nouripour. 2021 zog die Spandauerin erstmals ins Abgeordnetenhaus ein.

Eines von Ahamdis Themen ist die Sicherheitspolitik. Damit seien nicht nur Dinge wie Klimaresilienz gemeint, sondern ganz konkret auch Zivilschutz. Und dabei gehe es auch um die Ausstattung Berlins mit Bunkern. Derzeit böte sich nur Platz für 27.000 Menschen, sagte sie. Aber niemand wisse, wo sich diese befinden, Informationen seien dürftig, sagt sie.

Doch offenbar sei selbst die Platzangabe nur eine rechnerische Größe. Wie aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage Ahmadis hervorgeht, „existieren derzeit keine nutzbaren Zivilschutzbunker im Land Berlin“. Daraus geht auch hervor, dass die Bezirke derzeit immerhin an der „Einrichtung von 37 behördlich betriebenen sogenannten Katastrophenschutz-Leuchttürmen sowie 147 ehrenamtlich geführten Informationspunkten für den Katastrophenschutz“ arbeiteten, wie es heißt. Katastrophenschutz-Leuchttürme sind Anlaufstellen für die Bevölkerung in Krisensituationen, insbesondere bei länger andauernden Stromausfällen, also Blackouts.

In Teheran, sagt Ahmadi, gebe es gar keine Bunker für die normale Bevölkerung, keine Flugabwehr, nicht einmal ein Alarmsystem.

Rettungsteams im Einsatz in Teheran
Rettungsteams im Einsatz in TeheranIndian Red Cross/ZUMA Press Wire/imago
Gollaleh Ahmadi: Berlin braucht besseren Zivilschutz

Sie habe keine guten Erinnerungen an die Kindheit im Iran, erzählt Gollaleh Ahmadi. Als Kind sah sie im Ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak (1980 bis 1988) vom Balkon aus die Raketen auf Teheran fliegen. Da war sie sechs Jahre alt. Später spürte auch sie die Unterdrückung, die allgegenwärtige Kontrolle, die Angst. Immer musste man auf der Straße aufpassen, erst recht als Mädchen oder Frau. Schon ein falsch getragener Hidschab, ein Schleier, konnte ausreichen, festgenommen zu werden.

Bei einer solchen Aktion kam 2022 die 23-jährige Jina Mahsa Amini zu Tode. Die Folge waren wieder einmal monatelange Proteste. Eine Zeit lang sah es so aus, als käme diesmal das System ins Wanken, das seine Gegner foltert und hinrichtet. Am Ende wurde alles brutal niedergeschlagen – und geändert hat sich offenbar nichts.

So geht es seit der Islamischen Revolution 1979. Immer mal wieder gab es Phasen mit weniger Repressionen. Doch meist hielt das nicht lange, und die Hardliner setzten sich wieder durch.

Nun also die Angriffe aus Israel. Die atomare Infrastruktur soll angegriffen werden, Militärs und politische Führer gezielt getötet werden. Ist das womöglich ein Anlass zur Hoffnung, dass das Regime so stark getroffen würde, dass es implodieren könnte?

Gollaleh Ahmadi ist skeptisch. „Es ist nicht das Gute und das Böse – es ist viel komplexer“, sagt sie. Viele Iraner befänden sich in einem tiefen Zwiespalt. Bei den Angriffen würden Terroristen und Verbrecher getötet – das begrüßen viele. Aber noch mehr wollen keine Befreiung von außen.

Gollaleh Ahmadi: „Die Sorge wird immer größer als die Hoffnung“

Und je länger der Krieg dauere, desto stärker schwinde das Vertrauen in die Äußerungen Israels, dass man die Bevölkerung möglichst schonen wolle, dass es nur punktuelle Angriffe gebe. „Die Angst ist groß“, sagt sie, „und die Sorge wird immer größer als die Hoffnung.“

Und diese Sorge wird bei den meisten eher größer, wenn sie Reza Pahlavi aus den USA hören. Der Sohn des 1979 gestürzten Schahs arbeitet seit Jahren an einer Rückkehr – sehr zum Entsetzen vieler Oppositioneller, die vieles, nur keine Rückkehr zur Monarchie wollen.

Reza Pahlavi, Sohn des 1979 aus dem Iran geflohenen Schahs, arbeitet daran, in die alte Heimat zurückkehren zu können.
Reza Pahlavi, Sohn des 1979 aus dem Iran geflohenen Schahs, arbeitet daran, in die alte Heimat zurückkehren zu können.Christiane Oelrich/dp
Iran: Jetzt will der Schah-Sohn aus den USA zurückkommen

Vor einigen Jahren hatte Pahlavi aus seinem Exil heraus versucht, ein breites Bündnis zu schmieden, zu dem auch die Menschenrechtsanwältin und Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, aber zum Beispiel auch der ehemalige Bundesligafußballer Ali Karami – unter anderem bei Bayern München – zählten. Das Bündnis hielt nicht lange, zu unterschiedlich waren die Haltungen und Interessen. Zu ungewiss auch, ob Pahlavi sein Versprechen halten und alsbald Wahlen ausrufen würde, wenn er erst einmal an der Macht wäre.

Jetzt twitterte der Exil-Prinz: „Macht euch keine Sorgen um den Morgen nach dem Sturz.“ Nicht nur für Gollaleh Ahmadi in Berlin ist kaum vorstellbar, dass er mit solchen Parolen die Menschen im Iran hinter sich bringen kann. Ihm sei nicht zu trauen.

Eines ist aber auch sicher: Das alte Regime hat jeden Rückhalt in der Bevölkerung verloren, nach Schätzungen hat es nur noch etwa 15 Prozent der Menschen hinter sich. Gollaleh Ahmadi übersetzt einen Post aus dem Iran, den sie für typisch hält: „Schaut, was ihr 46 Jahre lang mit uns gemacht habt, dass ihr uns im Fall eines Angriffskriegs nicht an eurer Seite habt!“

Berliner-zeitung

Berliner-zeitung

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow