ÖRR und Polizei auf Prüfstand: Deutsche verlieren Vertrauen in Staat und Medien

Das Vertrauen in zentrale gesellschaftliche Institutionen sinkt in Deutschland weiter. Das zeigt der „Zukunftsindex Deutschland“ des Schweizer Meinungsforschungsinstituts Media Tenor. Die Ergebnisse, die der Zeitung Welt vorliegen, legen nahe: Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von Politik, Medien und Verbänden nicht mehr ausreichend vertreten. Jeweils zur Hälfte wurden dabei in der Zeit vom 1. bis zum 22. August repräsentative Telefon- und Online-Interviews durchgeführt.
Noch am besten schneiden Polizei und Justiz ab. Doch auch hier bleibt das Bild diffus: Lediglich 46 Prozent der 3025 Befragten gaben an, der Polizei zu vertrauen. Damit erreicht keine Institution in Deutschland einen Wert von mehr als der Hälfte. Bei den über 60-Jährigen liegt das Vertrauen zwar bei etwas mehr als 50 Prozent, doch bei den Jüngeren fällt es mit 37 Prozent deutlich geringer aus. Die Justiz kommt auf 40 Prozent, auch hier mit großen Unterschieden zwischen den politischen Lagern. Während mehr als die Hälfte der Unionswähler der Justiz vertrauen, sinkt der Wert unter Anhängern der AfD auf kaum mehr als ein Fünftel.
ÖRR besonders umstrittenBesonders deutlich zeigt sich der Umfrage zufolge die Vertrauenskrise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Nur 31 Prozent der Befragten äußern Vertrauen in ARD, ZDF oder Deutschlandradio. Unter den 16- bis 29-Jährigen ist es sogar nur ein Viertel. Etwas höher fällt die Zustimmung bei den 45- bis 59-Jährigen aus, bei denen der ÖRR auf 34 Prozent Glaubwürdigkeit kommt. Die politische Präferenz spielt auch hierbei eine entscheidende Rolle: Knapp die Hälfte der SPD-Wähler vertraut dem ÖRR, bei Anhängern von CDU und CSU liegt der Wert bei 40 Prozent, bei den Grünen sind es 38 Prozent. Besonders ausgeprägt ist das Misstrauen unter AfD-Wählern – nur 15 Prozent von ihnen vertrauen ARD, ZDF oder Deutschlandradio.
Noch geringer fallen die Vertrauenswerte für die politischen Institutionen aus. Der Bundesregierung vertrauen lediglich 17 Prozent der Befragten. Die Europäische Union erreicht mit 25 Prozent einen etwas höheren Wert, doch auch hier bleibt das Vertrauen schwach ausgeprägt. Rentenversicherung und Kirchen bilden die Schlusslichter. Lediglich 17 Prozent vertrauen der Rentenversicherung und nur zehn Prozent den Kirchen. Auffällig ist, dass elf Prozent der Befragten erklärten, sie vertrauten keiner einzigen Institution.
Junge Erwachsene durchgehend skeptischerDas Vertrauen unterscheidet sich aber nicht nur nach Parteipräferenz, sondern auch nach Altersgruppen. Während ältere Menschen im Schnitt mehr Vertrauen äußern – etwa in Polizei, Justiz und Regierung –, zeigen sich junge Erwachsene durchgehend skeptischer. Ein gegenläufiges Muster ergibt sich bei der Europäischen Union: Hier ist die Zustimmung in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen mit 29 Prozent höher als bei den Älteren, wo sie bei 23 Prozent liegt.
Die Vertrauenskrise beschränkt sich nicht auf Institutionen, sondern erfasst auch klassische Politikfelder. Nur 21 Prozent der Befragten sind der Meinung, Deutschland sei in Fragen der inneren Sicherheit auf einem guten Kurs. In der Migrationspolitik fällt die Zustimmung mit 19 Prozent sogar noch niedriger aus. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den politischen Lagern: Während Unionswähler mehr Optimismus äußern, herrscht unter AfD-Anhängern tiefe Skepsis.
Nährboden für Populismus und VerschwörungstheorienWissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass das schwindende Vertrauen in Institutionen weit mehr ist als eine bloße Stimmungslage. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass Menschen, die politischen Institutionen misstrauen, deutlich empfänglicher für populistische Angebote sind. Sie fühlen sich von etablierten Parteien nicht mehr vertreten und suchen nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen – dies sei ein Nährboden für radikale Bewegungen.
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin kam im Februar 2025 zu einem ähnlichen Ergebnis: Politische Entfremdung, so die Forscherinnen und Forscher, gehe oft Hand in Hand mit der Hinwendung zu Verschwörungserzählungen. Wer der Bundesregierung, den Medien oder auch den Gerichten nicht mehr vertraue, neige dazu, alternative Informationsquellen zu suchen, die diese Skepsis verstärken.
Verlorenes Vertrauen lässt sich schwer zurückgewinnenAuch das Nationale Bildungspanel (NEPS) des Leibniz-Instituts spricht von „fragilem Vertrauen“, das besonders in Krisenzeiten – etwa während der Corona-Pandemie – rasch erodiert. Dabei wird auf Befragungen zwischen 2017 und 2023 Bezug genommen. Auffällig ist, dass verloren gegangenes Vertrauen meist nur schwer wiederhergestellt werden kann. In der Summe zeichnen diese Studien ein Bild, das über die aktuellen Umfragezahlen hinausweist: Sinkendes Vertrauen in Institutionen ist nicht nur ein Indikator für gesellschaftliche Unzufriedenheit, sondern birgt die Gefahr, dass demokratische Strukturen langfristig geschwächt werden. Die jüngsten Zahlen bestätigen diese Sorge: Keine Institution erreicht in der Schweizer Umfrage noch Vertrauenswerte über 50 Prozent.
Die Studie macht damit ein gesamtgesellschaftliches Problem sichtbar. Sie verweist nicht nur auf das bröckelnde Ansehen einzelner Organisationen, sondern auch auf eine wachsende Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den zentralen Säulen des Staates. Für Politik, Medien und Verbände bedeutet das: Sie müssen stärker um Glaubwürdigkeit werben – besonders bei der jungen Generation.
Berliner-zeitung