Warum der Fachkräftemangel den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft abwürgen kann
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Frankfurt am Main. Der Umstieg auf die Wasserstoffwirtschaft ist quasi die Endstufe der Energiewende. Was sich nicht elektrifizieren lässt, muss mit extrem flüchtigem H2-Gas betrieben werden, das mittels Grünstrom erzeugt wird. Der Hochlauf hat begonnen: Die alte Bundesregierung hat den Bau eines Kernnetzes beschlossen, das dazu dienen soll, Wasserstoff über große Strecken zu transportieren. Vom Norden der Republik, wo er erzeugt wird, in den Westen und den Süden, wo die Industrie und der Verkehrssektor ihn benötigen.
Vieles ist noch unklar. Fest steht aber, dass fehlende Fachkräfte zu einem massiven Problem werden können. Dies geht aus einer aktuellen Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Die Situation ist schon heute kritisch: „Über alle relevanten Berufe hinweg fehlten in den betrachteten Branchen 2024 etwa 49.500 qualifizierte Fachkräfte“, heißt es in dem Papier.
Der sogenannte Hochlauf bedeutet, dass zuallererst Anlagen errichtet werden müssen, um im Elektrolyseverfahren Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen. Letzterer muss dann in Stahlrohrleitungen, die denen für Erdgas ähneln, über große Strecken transportiert werden. Zu den dafür wichtigen Berufen gehören laut Studie „Fachkräfte für Bauelektrik, Elektrische Betriebstechnik sowie Maschinenbau- und Betriebstechnik“, wo heute schon viele Stellen unbesetzt seien.
Besonders prekär ist dabei aus Sicht des IW-Autorenteams, dass dem Bau der H2-Autobahnen auch noch Verteilnetze folgen müssen, um die Fabriken der industriellen Verbraucher beliefern zu können. Deshalb bleibe die Nachfrage nach Fachkräften für den Ausbau des Infrastrukturbedarfs langfristig hoch. Zudem werde der in späteren Jahren wachsende Import von Wasserstoff und seiner Derivate wie Ammoniak zunehmend auch andere Transportbereiche wie den Schiffsverkehr betreffen.
Für die Wasserstoffwirtschaft wird die Chemieindustrie eine zentrale Rolle spielen, sowohl als Erzeuger als auch als Verbraucher. Mehrbedarf an Fachkräften sieht das IW-Autorenteam insbesondere beim Bau und bei der Wartung neuer Anlagen: Elektriker, Mechatroniker und IT-Fachleute. Weitere wichtige Sektoren sind die Stahlindustrie, die von Koks auf die sogenannte Direktreduktion durch Wasserstoff umstellen will, sowie die Seeschifffahrt und die Luftfahrt, die synthetische Kraftstoffe auf Basis grünen Wasserstoffs benötigen, um klimaneutral werden zu können.
Die IW-Autorinnen (Paula Risius, Regina Flake) und ihre Kollegen (Jurek Tiedemann, Malte Küper) machen darauf aufmerksam, dass in manchen der relevanten Berufsfelder schon heute bis zu acht von zehn offenen Stellen „rechnerisch nicht mit qualifizierten Arbeitslosen“ besetzt werden können. Der Wasserstoffhochlauf werde zudem zu weiteren Verknappungen führen. Zuletzt seien aber rund 18.000 angebotene Ausbildungsstellen in betroffenen Berufen unbesetzt geblieben.
Unternehmen hätten deshalb die Aufgabe, für ein „besseres Matching am Ausbildungsmarkt“ zu sorgen - vor allem durch gezieltes Werben für die gesuchten Berufe. Überdies müssten Quereinstiege organisiert, die Potenziale von Frauen, internationalen Fachkräften und älteren Arbeitnehmern erschlossen sowie mehr Teilzeitjobs angeboten werden.
Und: Damit Unternehmen sich hier überhaupt in der Wasserstoffwirtschaft ernsthaft engagierten, „sollte die nächste Bundesregierung an die bisherigen Fortschritte anknüpfen und drängende Handlungsfelder, wie den Bau von Elektrolyseuren sowie die Überwindung der Wirtschaftlichkeitslücke zwischen fossilen Energieträgern und grünem Wasserstoff, konsequent angehen“, heißt es in der Studie.
rnd