Türkei | Journalist Can Dündar: »Was, wenn er mich umarmt?«
Sie haben Ihr Buch mit einem sehr dramatischen Satz begonnen: »Man gab mir den Auftrag, Sie zu töten. Ich bin bereit, alles zu sagen, was ich weiß.« Dieser Anfang hat mich sofort in das Buch hineingezogen, das sich sehr flüssig liest. Man ist als Leser sofort mitten drin in der Geschichte. Warum haben Sie sich dazu entschieden, dieses Buch über die eigene Geschichte zu schreiben – eine Art von Spionagegeschichte, die eng mit der türkischen Politik und Präsident Recep Tayyip Erdoğan sowie mit den Ereignissen in Syrien verwoben ist?
Das Buch ist meine Verteidigung, um ehrlich zu sein. Ich wurde zu fast 28 Jahren Gefängnis verurteilt, weil ich eine wahre Geschichte veröffentlicht habe – eine Nachricht über den türkischen Geheimdienst, der Waffen nach Syrien schmuggelte. Ich war damals in Deutschland. Es war also unmöglich für mich, meine Verteidigung darzulegen. Der Grund für meine Verurteilung war genau diese Geschichte – aber es war nur ein Teil der ganzen Geschichte. Einige Lastwagen wurden innerhalb der Türkei, ganz nah an der syrischen Grenze, aufgehalten. Wir sahen die Bilder, erhielten die Nachricht und veröffentlichten sie. Aber der Rest der Geschichte wurde damals noch nicht aufgedeckt. Woher kamen die Waffen? Wohin gingen sie? Wer schickte sie? Wer kaufte die Waffen und wie wurden sie verteilt? Wir hatten keine Gelegenheit, dies zu recherchieren, weil ich ins Gefängnis kam und dann das Land verließ. Nach der Verurteilung gab es sogar einen Angriff mit einer Waffe gegen mich. Die Geschichte war da, aber ich hatte keine Gelegenheit, sie weiterzuverfolgen. Dann, mit dem Brief aus Argentinien, hatte ich die Möglichkeit, einige Zeugen zu hören und griff die Geschichte wieder auf. Es war eine halbfertige Angelegenheit, jetzt bin ich der ganzen Geschichte viel, viel näher gekommen.
Sie haben den Brief erwähnt, den der Auftragskiller Ihnen aus einem Gefängnis in Buenos Aires geschrieben hat, woraufhin Sie entschieden, ihn dort zu treffen. Wie war es, vor der Person zu stehen, die den Auftrag hatte, Sie zu töten? Sie schreiben am Anfang, dass Sie nicht wussten, wie Sie sich verhalten sollten. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie ihm gegenüberstanden?
Als ich auf das Gefängnis zuging, war ich mir meiner Reaktion nicht sicher. So versuchte ich zu entscheiden, wie ich mich am besten verhalten würde. Sollte ich ernst und wütend sein? Sollte ich mich distanziert verhalten? Oder sollte ich… Was, wenn er mich umarmt? Es war eine schwierige Situation. Das letzte Mal, dass ich so etwas erlebt habe, war als Papst Johannes Paul II den rechtsextremen türkischen Terroristen Mehmet Ali Ağca, der ein Attentat auf den Papst verübt hatte, im Dezember 1983 im Gefängnis in Rom besuchte. Sie sprachen miteinander, ein schockierendes Bild, das ich gut in Erinnerung habe. Für mich war es mehr oder weniger das Gleiche. Aber am Ende erwies er sich als sympathischer Kerl, wenn ich ehrlich bin.
Was war sympathisch an dem Mann, der Serkan Kurtuluş heißt und Sie töten sollte?
Er kam an mit Geschenken aus der Gefängnisbäckerei, brachte Kekse, etwas Orangensaft etc. Ich schenkte ihm mein Buch, das ich im Gefängnis geschrieben hatte. Es war also ein Austausch von Geschenken. Das Wichtigste für mich ist nicht, dass er den Auftrag hatte, mich zu töten, sondern dass er sich entschlossen hat, mir die Wahrheit zu sagen. Ich beschloss, mich selbst als Betroffener zurückzunehmen und mehr als Journalist zu handeln statt als Opfer. Dann wurde es interessanter, weil ich jetzt Fragen hatte, die nicht nur mich betreffen, sondern auch die Türkei. Und ein weiterer wichtiger Punkt ist: Serkan Kurtuluş hat es nicht getan. Er weigerte sich. Deshalb war er für mich, wie gesagt, eher auf meiner Seite. Er war nicht wie ein Feind.
Also war er anders als die anderen, die Sie im Buch zitieren, die Mafia-Bosse und andere. Haben Sie ihm vergeben?
Natürlich – in Wirklichkeit hat er nichts getan, was vergeben werden müsste, weil er sich geweigert hat, es zu tun. Er hätte es tun können, und vielleicht hätte er es sogar erfolgreicher gemacht als der andere Kerl, der mich 2016 vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul niederschießen wollte. Aber Serkan Kurtuluş weigerte sich. Deshalb war er für mich vor allem ein Whistleblower. Als Journalist war es natürlich meine Aufgabe, mit ihm zu sprechen und so viele Informationen wie möglich zu erhalten. Und er versorgte mich wirklich mit wertvollem Material. Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, es mit anderen Quellen abzugleichen, wäre es natürlich besser gewesen.
Sie sind in zweierlei Hinsicht Protagonist Ihres Buches: als Erzähler, der eine Kriminalgeschichte entfaltet, und als Opfer eines Mordkomplotts. Der Anlass dieses Buches ist ziemlich speziell. Haben Sie sich beim Schreiben wohlgefühlt?
Es war sehr einfach, weil die Geschichte schon monatelang und jahrelang in meinem Kopf war. Ich musste sie nur ausformulieren. Der schwierige Part war: Wie viel sollte ich von mir selbst einbringen? Wie weit sollte ich mich distanzieren und die Geschichte aus der Perspektive eines Journalisten erzählen? Es ist sehr schwer, einen objektiven Weg zu finden. Aber zum Glück sollte es kein journalistischer Beitrag werden, sondern ein Buch, daher war eine persönlichere Herangehensweise möglich. Ein Buch erlaubt dir, mehr in die Tiefe zu gehen. Es wäre praktisch unmöglich gewesen, die ganze Geschichte in einem journalistischen Beitrag zu erklären. Das ist investigativer Journalismus, weil ich wirklich hart daran gearbeitet habe. Das Thema ist im Übrigen noch nicht abgeschlossen.
Sie sprechen im Buch über die schon bekannten Lieferungen von Waffen, zumeist russischer Produktion, durch den türkischen Geheimdienst an dschihadistische Gruppen in Syrien während des Bürgerkriegs. Wo hat der Geheimdienst diese Waffen herbekommen?
Ich denke, das System war so aufgebaut: Sie fanden jemanden – einen sogenannten »unabhängigen Käufer« –, der für die Regierung und den Geheimdienst arbeitete. Dieser kaufte die Waffen und Munition aus verschiedenen Quellen, wobei der Geheimdienst half. Das Geld kam von der Botschaft – sie fanden Wege, das Geld in Kisten zu schicken. Dann nahmen sie das Geld und transferierten die Waffen – meistens aus der Zeit des Warschauer Vertrags, aus ehemaligen Ostblockländern wie Kroatien und Serbien. Der Käufer kaufte sie und schickte sie in die Türkei. Der Geheimdienst half ihm dabei, und dann öffneten sie die Grenzen. Eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass der Geheimdienst damit zu tun hat, aber tatsächlich waren es Mitglieder des Geheimdienstes, die die Waffen transportierten, die Lastwagen lenkten und die Waffen verteilten – eine Kombination aus Partei, Mafia, Geheimdienst und Regierung, der sogenannte »tiefe Staat«. Und dieser funktioniert seit Jahren sehr, sehr gut. Jetzt wissen wir viel über dieses Zusammenspiel.
Eine besondere Rolle spielte auch ein gewisser Nuri Gökhan Bozkır. Was war seine Aufgabe bei dem Waffenschmuggel?
Nuri war damals in Kroatien, besorgte Waffen aus ehemaligen Sowjetrepubliken, brachte diese in die Türkei und verteilte sie in Syrien. Als er Probleme mit der türkischen Regierung bekam, floh er in die Ukraine. Er dachte, dort wäre er sicher. Aber dann begann im Februar 2022 plötzlich die russische Invasion, und die Ukraine brauchte Drohnen aus der Türkei. Sie machten ein Geschäft mit Erdoğan, und die Türkei schickte Drohnen in die Ukraine. Im Gegenzug bekam die Türkei diesen Nuri. Und plötzlich sahen wir ihn in den Nachrichten, vor einer türkischen Flagge. Jetzt sitzt er in einem türkischen Gefängnis. Es ist offensichtlich, dass sie Hand in Hand arbeiteten und die Türkei ihn jahrelang unterstützt hat. Dieses Buch ist also nicht nur über mich. Es geht auch um die Beteiligung der Türkei am Syrienkrieg. Es geht um Russland, die Ukraine, die Vereinigten Arabischen Emirate – viele Player sind involviert. Immer noch tausche ich Nachrichten mit Serkan aus, gestern noch. Er ist neugierig auf das Buch. Ich habe ihm davon erzählt und er stellt mir Fragen dazu. Es könnte helfen, seine Auslieferung in die Türkei zu verhindern.
War die Machtübernahme von Ahmad Al-Scharaa und der Dschihadistenmiliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) eine Erfolgsgeschichte für Erdoğans Politik in Syrien?
Sie hatten eine klare Zielstellung: Sie wollten die Regierung von Baschar Al-Assad stürzen, indem sie radikale Islamisten unterstützten. Meine Geschichte war vielleicht eines der ersten Anzeichen dafür. Aber sie wollten nicht, dass das bekannt wird, weil sie es heimlich tun wollten. Deshalb gefielt ihnen nicht, dass die Geschichte veröffentlicht wurde. Aber heute ist es ihnen egal, weil es ohnehin offensichtlich ist, dass sie diese Leute mit Waffen versorgt haben und diese dann an die Macht gekommen sind. Erdoğan hat gehalten, was er versprochen hat. Sogar US-Präsident Trump hat letzte Woche gesagt, dass dieser Mann Syrien eingenommen hat – und das stimmt. Das Hauptquartier der Aktion war in Istanbul. Sie schickten nicht nur Waffen, sondern auch Arbeitskräfte wurden von der Türkei entsandt. Es ist offensichtlich, dass Ankara Al-Scharaa und die HTS koordiniert hat. Sie haben alles gemeinsam gemacht. Die Beteiligung war systematisch und tief.
Gleich nach dem Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016 begaben Sie sich ins Exil nach Berlin. Fühlen Sie sich hier sicher, speziell auch im Hinblick auf die Veröffentlichung Ihres neuen Buches?
Natürlich, aber wenn du überall mit Geheimdiensten und Mafia zu tun hast, ist es wirklich gefährlich für dich. Wenn du über verdeckte CIA- oder KGB-Operationen schreibst, ist die Sicherheit ein generelles Problem, speziell für investigative Journalisten, die mit Geheimdiensten und Mafia zu tun haben. Journalisten, die über die Mafia berichten, werden bedroht und führen ein sehr schwieriges Leben. Aber was ist der Ausweg? Entweder man verschließt die Augen vor all diesen Geschichten und entscheidet sich für ein bequemes Leben, oder man geht das Risiko ein, belästigt, angegriffen zu werden, im Untergrund zu leben. Ich habe mich für die zweite Option entschieden. Natürlich gibt es Risiken. Aber wenn man Journalist werden will, muss man sich dessen bewusst sein.
Stehen Sie unter besonderem Schutz in Deutschland?
Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen nicht wollen, dass die türkische Seite in Deutschland Probleme verursacht. Es muss eine Art Vereinbarung zwischen den beiden Ländern geben, um diplomatische und politische Krisen zu vermeiden. Aber trotzdem: Ein Freund von mir, ein Journalist, wurde vor ein paar Jahren vor seinem Haus von Mafia-Leuten angegriffen und sie haben die Täter nie gefunden. Wenn ich an öffentlichen Veranstaltungen teilnehme, ergreifen sie gewisse Vorsichtsmaßnahmen, die Polizei versucht, den Ort zu schützen.
Wie ist die Situation für Ihre Frau?
Das ist ein schwieriger Teil. Man gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Familie. Aber ich war kein Popsänger, als wir heirateten, ich war schon Journalist. Sie wusste also, worauf sie sich einlässt. Deshalb war sie immer mutig und hat mich unterstützt. Natürlich gibt es Momente, in denen sie genug davon hat. Es ist kein einfaches Leben. Du musst Opfer bringen: Deine Liebsten sind weit weg, du bist fern der Heimat, es gibt wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten, du bist von der Familie getrennt. Es ist nicht leicht. Aber leider läuft es so, wenn man sich für diese Arbeit entscheidet.
Wie sehen Sie die Türkei von heute? Im Buch schreiben Sie von Begegnungen mit Menschen, die für den Rechtsstaat arbeiten und sich bemühen, Licht ins Dunkel zu bringen. Ist die Türkei schon verloren, was Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit betrifft?
Ich kann nicht sagen, dass die Türkei bereits von der autoritären Herrschaft umzingelt ist. Es gibt immer noch Widerstand, Gott sei Dank. Und ich bin irgendwie hoffnungsvoll, dass wir am Ende siegen werden. Wenn man von der Türkei spricht, gibt es verschiedene Szenarien: Wir haben Erdoğans Türkei, wir haben die Türkei des Widerstands und viele andere. Syrien zum Beispiel ist eine Erfolgsgeschichte für Erdoğan und die Islamisten. Die Regierung hat dort viel investiert und am Ende haben sie die Islamisten an die Macht gebracht.
Was halten Sie von Özgür Özel, dem Vorsitzenden der größten türkischen Oppositionspartei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi), der nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters und CHP-Politikers Ekrem İmamoğlu viele unzufriedene Menschen auf die Straßen gebracht hat?
Der Vorsitzende der Opposition ist eine sehr starke Figur. Ganz plötzlich ist er aufgetaucht und hat wirklich gut gearbeitet, weil die Leute im Land hoffnungslos waren. Er hat ihnen Hoffnung gegeben. Jetzt organisiert er jede Woche in verschiedenen Städten Veranstaltungen und drängt die Leute, auf die Straße zu gehen. Das ist der einzige Weg, leider. Du kannst den Wahlen nicht vertrauen, du kannst der Regierung nicht vertrauen, du kannst den Richtern nicht vertrauen. Also versucht er, die Kraft des Volkes zu motivieren. Das ist das Einzige, was er tun kann, und er macht es gut. Alle Meinungsumfragen zeigen, dass er, wenn heute Wahlen wären, gewinnen könnte. Das ist die einzige Hoffnung für die Menschen.
Sie kritisieren im Buch auch deutlich den starken Nationalismus in der Türkei – und den Hass gegen alle, die aus ihrer Sicht gegen das Vaterland arbeiten. Das scheint immer ein sehr starkes Gefühl im rechten und konservativen Lager der Türkei gewesen zu sein.
Immer, ja. Deshalb bin ich kein Nationalist. Und wenn du in der Türkei bist, kannst du nicht einmal sagen, dass du kein Nationalist bist. Du wurdest als Türke geboren, also musst du ein strenger Nationalist sein. Ich finde es heutzutage sehr gefährlich, Nationalist zu sein, besonders jetzt. Der Nationalismus hat viele Probleme verursacht. Türkischsein umfasst nicht mehr nur die Türken – Kurden, Armenier, Juden und andere, obwohl sie die Türkei lieben, sehen sie sich selbst nicht als »Türken«. Und sie zu zwingen, zuzugeben, dass sie Türken sind, schafft viele Probleme. Der 40-jährige Krieg mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist ein direktes Produkt dieses nationalistischen Drucks. Deshalb ist es an der Zeit, noch einmal darüber nachzudenken, was Nationalismus ist und welche Probleme er verursacht.
Wie bewerten Sie die Gespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK – die Erklärung von Öcalan, den bewaffneten Widerstand zu stoppen und die Partei aufzulösen?
Auf der einen Seite flehe ich die Verantwortlichen an, den Krieg zu beenden, weil 40 Jahre Krieg schon 40 000 Menschen das Leben gekostet hat. Wir wollen, dass dieser Krieg endet. Aber auf der anderen Seite: Wie kann ich Erdoğan vertrauen? Er befindet sich in einer schwierigen Lage, kann nicht mehr als Präsidentschaftskandidat antreten. Wenn heute Wahlen wären, würde er definitiv verlieren. Also versucht er, die Unterstützung der Kurden zu bekommen – aus praktischen Gründen. Und er hat Ideen in Bezug auf Syrien. Es gibt viele Nebengespräche in diesem sogenannten Friedensprozess. Trotzdem versuche ich, hoffnungsvoll zu sein, auch unter diesen Umständen, weil ich denke, dass es unvermeidlich ist. Der Krieg muss enden.
Was erwarten Sie für die nächsten drei Jahre bis zu den Wahlen 2028?
Die Türkei ist wie ein Überraschungsei. Du weißt nie, was drinnen ist, weil es viele verschiedene Dimensionen gibt. Zum Beispiel die USA, Russland, Syrien, der Iran, Griechenland, Zypern – all das sind weitere Elemente, die die politische Struktur verändern könnten. Natürlich will Erdoğan an der Macht bleiben. Höchstwahrscheinlich wird er in drei Jahren die Verfassung ändern, um sich eine Chance zu geben, an der Macht zu bleiben. Wenn er das kann, wird er für das Präsidentenamt kandidieren und würde es wahrscheinlich bekommen. Andernfalls ist sein Plan B sein Sohn, den er für das Amt vorbereitet – wie die alten osmanischen Sultane. Der ehemalige Geheimdienstchef Hakan Fidan und der derzeitige Geheimdienstchef İbrahim Kalın bereiten sich ebenfalls auf die Zeit nach Erdoğan vor. Das ist die andere Perspektive.
Würden Sie zurückkehren in die Türkei, wenn man Ihnen die öffentliche Sicherheit garantierte?
Wie kann man Erdoğan vertrauen? Abdullah Öcalan war jahrelang der »Nummer-1-Terrorist« in der Türkei – der gefährlichste öffentliche Feind, der Feind des Staates. Und plötzlich verhandeln sie mit ihm und er ist auf einmal »Herr Öcalan«. In wenigen Wochen ist er vom »Terroristen« zu »Herr Öcalan« geworden. Devlet Bahçeli, der Chef der »Grauen Wölfe«, hat als Erster »Herr Öcalan« gesagt – vor ein paar Jahren war das noch ein Verbrechen. Viele Menschen sitzen im Gefängnis, weil sie »Herr Öcalan« gesagt haben. Ich stehe auf der Fahndungsliste als »Terrorist«. Man kann nicht stolz darauf sein, aber es ist ein seltsames Gefühl, sich selbst als »Terroristen« zu sehen. Aber man weiß, dass jeder, der Erdoğan herausfordert, als Terrorist bezeichnet wird. Deshalb kann man wahrscheinlich sagen: »Ja, ich bin einer seiner Terroristen.« Vielleicht erlebe auch ich noch eine Überraschung: Heute bin ich laut Regierung ein »Terrorist«, aber vielleicht nennen sie mich morgen schon »Herr Dündar«.
Wird es eine Fortsetzung des Buches geben?
Es muss eine geben, weil ich sicher bin, dass nach der Veröffentlichung des Buches noch andere Personen bereit sein werden zu sprechen und weitere Beweise zu liefern. Zumindest muss es aktualisiert werden und ich könnte weitere Informationen hinzufügen – neue Erkenntnisse, neue Zeugenaussagen, die nach der Veröffentlichung kommen. Das Buch ist sozusagen ein lebendiges Dokument.
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