KOMMENTAR - Die SNB wird gewöhnlicher – das ist ein Kantengang


Michael Buholzer / Keystone
Für eine so traditionsbewusste und stabile Institution wie die Schweizerische Nationalbank (SNB) war es eine kleine Bombe, die ihr Präsident am Mittwoch in einer Rede im Tessin platzen liess. Entgegen seiner bisherigen Politik will das Direktorium der SNB künftig dem breiten Publikum einen vertieften Einblick gewähren in den Prozess, der zu seinen vierteljährlichen Zinsentscheidungen führt. Dazu soll vier Wochen nach der jeweiligen geldpolitischen Lagebeurteilung eine Zusammenfassung der Beratungen veröffentlicht werden.
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Im internationalen Kontext ist das allerdings nichts Neues. Das Fed, die amerikanische Zentralbank, veröffentlicht solche Zusammenfassungen seit 1993, die Europäische Zentralbank (EZB) hat 2015 nachgezogen und berichtet vier Wochen nach jedem Entscheid relativ ausführlich über die Diskussionen. Die schwedische Zentralbank veröffentlicht gar bereits fünf Tage nach jedem Entscheid ein eigentliches Protokoll der Beratungen. Nun will die SNB offensichtlich zeigen, dass sie unter ihrem neuen dreiköpfigen Direktorium nicht weniger modern ist.
Erfolgreiche ZurückhaltungDas ist allerdings an sich schon ein Statement. Das geldpolitische Konzept der SNB stammt aus dem Jahr 1999 und wurde seither nur vorsichtig ergänzt. Bisher war die SNB stolz darauf, in vielem zurückhaltender zu sein als andere Zentralbanken und nicht jeden neuen Trend mitzumachen. Sie hat sich mit Erfolg dagegen gewehrt, andere Ziele zu verfolgen als dasjenige der Preisstabilität (unter Berücksichtigung der Konjunktur) und hat stets konsequent ihre Unabhängigkeit verteidigt.
Die Nationalbankspitze war sich der Grenzen ihrer Möglichkeiten auch besser bewusst als manche angelsächsischen Kollegen und hat darauf verzichtet, Konjunktur und Preisniveau feinsteuern zu wollen. Deshalb hat sie sich auch dagegen gewehrt, Preisstabilität als Punktziel zu definieren, und gab einem Zielband den Vorzug. Und sie war sehr darauf bedacht, einheitlich und klar zu kommunizieren. Ihre öffentlich auftretenden Vertreter wiederholten die immergleichen Formulierungen. Auf «forward guidance» im Sinne eines Ausblicks auf den künftigen geldpolitischen Kurs wurde bewusst verzichtet, um den Handlungsspielraum nicht unnötig einzuschränken.
Mit alldem ist die SNB sehr erfolgreich gewesen. Seit der Jahrhundertwende ist es keiner der grossen Zentralbanken gelungen, den Wert ihres Geldes so stabil zu halten und gleichzeitig auf konjunkturelle Verwerfungen geschickt zu reagieren.
Doch vor allem Marktbeobachter, die mit der Arbeitsweise der SNB nicht besonders vertraut sind, beklagten immer wieder, die Entscheidungen der Schweizer Notenbanker ungenügend zu verstehen. Gleichzeitig hat sich die Kommunikationspolitik weltweit seit Jahrzehnten aus gutem Grund verändert. Statt die Märkte zu überraschen, wollen die Währungshüter die Erwartungen der Marktteilnehmer verankern und so die Inflation und den Gang der Wirtschaft verstetigen. Mehr Offenheit und Transparenz soll die Glaubwürdigkeit der Institution stärken und Rechenschaft darüber ablegen, dass die Notenbanker ihre Unabhängigkeit verdienen.
Diskussionen müssen offen geführt werden könnenDer breiteren Öffentlichkeit ist bis anhin kaum bekannt, wie das Direktorium der SNB zu seinen Entscheiden kommt. Es streckt natürlich nicht einfach die Köpfe zusammen. Die vierteljährliche Lagebeurteilung dauert jeweils zwei Tage. Zuerst werden Präsentationen zur wirtschaftlichen Lage und zur prognostizierten Entwicklung von Preisen und Konjunktur in Abhängigkeit von den möglichen Zinsentscheiden diskutiert, wobei zahlreiche Vertreter aller Abteilungen teilnehmen. Im engeren Kreis werden danach die sich daraus ergebenden Optionen erörtert, bevor das Direktorium schliesslich seinen Entscheid fällt. Danach wird an einer Pressekonferenz darüber informiert.
In Zusammenfassungen des Entscheidprozesses mehr darüber zu erfahren, wie die Zentralbanker und ihre Modelle die komplexe Weltlage und die unsicheren Aussichten beurteilen oder was für Wirkungen sie beispielsweise von Negativzinsen erwarten, kann die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen verbessern und deren Glaubwürdigkeit erhöhen. Gleichzeitig muss die SNB aber aufpassen, dass ihre Kommunikation nicht zu komplex wird. Und sie sollte darauf bedacht sein, dass ihre Lagebeurteilung eine offene Suche nach dem besten Entscheid bleibt und dieser nicht schon zuvor im kleinen Kreis fällt, wie dies laut dem scheidenden österreichischen Zentralbankgouverneur in der EZB oft der Fall ist.
Die SNB sollte deshalb vier Wochen nach dem Entscheid keine eigentlichen Protokolle veröffentlichen. Ihre Zusammenfassungen sollten so informativ sein, dass das Verständnis für ihre Abwägungen vertieft wird, aber sie dürfen nicht so detailliert sein, dass sich die Notenbankspitze unnötig Spielraum für ihre künftigen Entscheidungen nimmt oder sich die Beteiligten in ihren Äusserungen eingeschränkt fühlen. Argumente sollten nicht den einzelnen Vertretern im Direktorium zugeordnet werden können.
Das ist ein Kantengang. Die SNB wird mit ihrer neuen Kommunikationspolitik gewöhnlicher, aber sie sollte nicht zu gewöhnlich werden. Man darf gespannt sein.
nzz.ch